Seit Montag kann man also abstimmen: wer soll die Schweiz beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf vertreten? Über 320 Videos stehen zur Auswahl, auf der Webseite vom Schweizer Fernsehen kann man sich die Titel anhören und 4 Stimmen abgeben. Bloss, wer sich auf dieses Abenteuer einlässt sollte unbedingt Papiertaschentücher, Ohrentropfen, viel Zeit und - sofern möglich - einen Termin beim Ohrenarzt in Aussicht haben. Denn, es ist ein wahres Gruselkabinett welches sich dem Musikfan bei dieser Auswahl bietet. Ich hab mir mal einen grossen Teil der Songs - gewisse "Künstler" haben gleich mehrere Songs abgegeben, da hat mir dann einer gereicht - angehört und ein paar davon sind mir, aus welchen Gründen auch immer, in Erinnerung geblieben. Doch dazu später mehr!
Stefan Raab und Lena machten es letztes Jahr vor und - wie die alte Fasnacht - per Castingshow will nun auch das SF einen würdigen Songcontest-Kandidaten ermitteln. Noch bis zum 10. November kann das Publikum online mitbestimmen, wer es in die Schweizer Vorausscheidung schaffen soll. Pro User können maximal vier Stimmen abgegeben werden. Zudem gibt eine Fachjury ihr Urteil ab, wer dabei wieviel Gewicht hat wird leider nicht bekannt gegeben. Es könnte also durchaus sein, dass die selbsternannten SF-Unterhaltungsbosse insgeheim schon wissen wer weiter kommt und wer nicht. Die zwölf besten Kandidaten werden in einer Entscheidungs-Show am 11. Dezember in Kreuzlingen (ich wette Sven Epiney moderiert) ihre Songs live präsentieren.
Bloss, wer schaffts in die Ostschweiz? Hier eine Auswahl an Gut und Böse. Während in Deutschland, Finnland oder Oestereich Sachen wie Lordi, Alf Poier, Guildo Horn oder Raab schon vor einigen Jahren mit Comedy am Start waren, kommt es der Schweizer Szene erst im Jahr 2010 in den Sinn, den ESC ad absurdum zu führen. Trotzem, es gibt auch gute Sachen im Wettbewerb.
"Gib nid uf" singt zum Beisipel Kisha - zusammen mit den Musikern Reto Burell und Nori Rickenbacher. 1999 schaffte es die 32-jährige Flamatterin mit "Why?" in die internationalen Charts, aus der Zeit hab ich übrigens immer noch ihre weisse G-Shock.. Nach langer Pause ist Kisha nun gleich mit mehreren Projekten am Start und mit ihrer Teilnahme am Eurovision-Voting versucht sie an diesen Erfolg anzuknüpfen. Ihr Lied bietet schweizerdeutschen PopRock. Aufgepeppt wird das Ganze mit Geigen- und Gitarrenklängen im Country-Stil, klingt ein bisschen wie Lady Antebellum. Auch nicht von schlechten Eltern die Nummer von "Leo Wundergut & das Staatsorchester", bestens bekannt im deutschsprachigen Raum durch seinen Schweinegrippen-Song im letzten Winter. Er nimmt den Event gar nicht erst ernst und singt "La Suisse: Zéro Points!" Gefallen hat mir durchaus auch der Beitrag von Nita & Friends, wobei ich den Titel "RIP" für einen Spassanlass wie den ESC schon gerade etwas gar triste finde. Aber sowohl die hübsche Aargauerin als auch ihre Friends überzeugen mit starken Stimmen! A propos stark, Europa: Neue Leichtigkeit! Ich hab von dem Projekt aus Luzern, Basel und Winti zwar noch nie was gehört, aber sowohl der Song - welcher an Element of Crime erinnert - und auch das Video ist wirklich gelugen und hat eine Erwähnung verdient. Hübsch ist der Song von Dragana Onaje Matic, welcher vorallem durch eine gute Stimme auffällt, im Wettbewerb allerdings untergehen dürfte. Am ersten Tag waren beim Voting auch die Elektropunks von Fiji (diesen Freitag im Flössi in Aarau!) mit von der Partie, aber inzwischen sind sie von der Teilnehmerliste verschwunden.
Nun zum Trash und wenn ich ehrlich bin, sind 95 Prozent der Beiträge wirklich nur schlecht. Da wäre zum Beispiel Fanny Lüscher. Fanny wer? La Lüscher scheint bereits fix an den Sieg im europäischen Finale zu denken und setzt mit "Dance With Me" auf einen Mainstream-Disco-Stampfer-Song. Im Video zeigt sich das 27-Jährige Ex-Model in abgefetzten Jeans und erinnert irgendwie an Daniela Baumann. Wem das deutsche Wundermädchen Lena immer schon etwas zu süss war, der stimmt wohl für Lenny Müller-Landhut. Viele Perücken, angeklebte Schnäuze und Cowboyhüte sollen bei diesem parodistischen Beitrag von der Musik ablenken. Ein Rezept, das Peach Weber schon seit Jahren erfolgreich anwendet. Für den Song Contest empfiehlt sich der Aargauer Komiker denn auch prompt selbst - als Schweizer Version von Guildo Horn. Die simple Zeile "I will win the Eurosong", eine Bauchtanzeinlage für den Balkan, Rap und Jodel sollen es richten.
Natürlich darf auch die volkstümliche Fraktion nicht fehlen. Im freiburger Fleckvieh-Outfit und mit Handorgeln bewaffnet singen ChueLee das Lied "För mi Äti ond mis Müeti". Da der Grand-Prix der Volksmusik dieses Jahr kaltblütig abgesetzt wurde, scheint die Volksmusikmafia nun fest gewillt, den Concours zu infiltrieren und da die Macht übernehmen zu wollen. Ebenfalls in die Vorausscheidung schaffen wollen es Oeschs, die Dritten. Mit ihrem Ku-Ku-Jodel gewannen sie schon die Sendung "Die grössten Schweizer Hits". Sie treten mit dem Titel "Jodel-Time" an. Die Texte sind sowas von sinnfrei - um nicht zu sagen bescheuert - dass nicht einmal das hübsche Gesicht von Melanie Oesch davon ablenken kann. Handorgel und Gitarre vermischt "Willy Tell & sini Band" mit der Geschichte "De Fluech vom Äntlibuech" - noch der beste Titel dieser heimatlichen Songs.
Dann gibts natürlich auch die, die immer und überall mit dabei sind, wenn es PR for free gibt: Piero Esteriore, Trauffer, Mauro Grossud, Melissa Serpico, Salvo, Ad-Rian und wie sie alle heissen...nur, besser machen all diese öffentlichen Auftritte ihre Songs leider auch nicht, darum: ein dreifaches Nein! Zum Abschluss noch ein paar Exoten: da wäre zum Beispiel Jam, ein Nigerianer der in Russland wohnt nun nun für die Schweiz an der Start gehen möchte. Seine Songs, allesamt abgekupfert und langweilig. Witzig ist Dä Strolch, ein Rapper der "Ramseiers wänd go grase" neu interpretiert und auch die Sache mit dem Grasen ganz anders versteht... Die Punkte der Kiffer drüfte er dabei auf sicher haben. Aus welcher Anstalt "Fred Weston" ausgebrochen ist, entzieht sich meinem Wissen - aber der selbsternannte Frank Sinatra geht gar nicht. Weder sein Song "Zürich my Love", noch das selbstgebastelte Video bedürfen keines weiteren Kommentars.
Übrigens scheint sich das diesjährige Auswahlverfahren noch nicht bis ins Wallis durchgesprochen zu haben. Denn bei den Üsserschwiizern findet der ESC 2011 in Berlin (siehe Logo) statt und wählen kann man auch erst ab heute...
Fazit: es wird auch im Jahr 2011 nichts mit einem Schweizer Erfolg beim ESC. Zu schlecht sind die Beiträge, zu gross das Gefälle innerhalb dieser schlechten Beiträge... Zudem sind beim Schweizer Fernsehen immer noch die gleichen Clowns an der Macht wie in den letzten Jahren, die nun glauben, wenn man das System Raab kopiere, dann werde das schon was mit Punkten in Düsseldorf. Nur, die Idee wurde nicht zu Ende gedacht. Raab hat sein Casting über Wochen live im TV vollzogen, nicht anonym im Netz wie die Schweizer TV-Macher. Eine Finalsendung wird nie reichen um eine Fanbase im Land aufzubauen, erst recht wird man es so nicht schaffen ganz Europa für unseren Song zu begeistern. Ein Punkt, welcher Raab in diesem Jahr schlicht genial umgesetzt hat: Oslo hat für Lena gebrannt und am Abend des ESC gabs dann 12 Points aus allen Herren Ländern. Davon dürften wir in der Schweiz, trotz neuem altem Auswahlverfahren noch lange träumen. Ich denke, dass sich anhand der TV-Finalsendung die Familie Oesch durchsetzen dürfte, immerhin schauen eher ältere Leute SF und dann: Gute Nacht & Fremdschämen hoch 7. Und ja, ich hab gewählt!