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11. November 2016

Ayyayaya Coco Jambo Ayyayai

Wer erinnert sich noch an die erfolgreiche, aber grottenschlechte, Eurobeat-Combo aus Deutschland? Deren Highlight, zumindest damals in meinen Augen, die blonde "Sängerin" T-Seven war, welche aber auch mehr durch ihren Auftritt im Playboy in Erinnerung geblieben ist, als denn durch ihre Sangeskünste. Aber mal ehrlich, eigentlich will ich ja an dieser Stelle auch nichts über diese Band oder deren Musik schreiben, welche längst im Giftschrank eingeschlossen wurde - und das ist gut so! Vielmehr hab ich gestern Mr. President gegoogelt und dann kam mir das obige Foto unter die Augen, obwohl ich eigentlich ein paar Infos über den neuen US Präsidenten haben wollte. Aber eben, die Vergangenheit holt einen immer wieder ein, so auch die Coco Jambo Truppe. Unterm Strich waren sie ja dann auch das kleinere Übel, als das, was man aktuell sonst so im Zusammenhang mit Mr. President hört und liest. 

Okay, nun ist Onkel Donald also gewählt, das Volk hat entschieden. Zwar hatte er genau von diesem Volk zwar weniger Stimmen erhalten als seine Konkurrentin Clinton, aber das amerikanische Wahlsystem macht es aus, dass das keine Rolle spielt und der Kandidat gewinnt, welcher mehr Wahlmänner mobilisieren konnte und das war in diesem Fall eben Trump. Ich selber habe im Vorfeld der Wahl gleich mehrere Wetten platziert gehabt, weil ich mir fast sicher war, dass ein dummes Volk einen solch dummen Menschen auch wählen wird. Und siehe da, gewonnen! Nun gut, es wird sich dann zeigen, was er von all seinen Androhungen umsetzen wird oder besser gesagt kann. Aber die Voraussetzunge für ein internationales Chaos zu sorgen sind zumindest gegeben, denn immerhin sind der ganze Senat und das Repräsentantenhaus in republikanischer Hand. Sprich, die winken die Entscheide von Trump im Normalfall dann eh durch. Ganz im Gegensatz zum bemitleidenswerten Obama, welcher in seiner Zeit das Parlament ja immer gegen sich hatte. 

Stellt sich also die Frage, was denn der Onkel Donald ab dem Januar so alles anstellen wird. Möglich ist schliesslich alles, denn so wirklich in die Karten schauen lässt er sich ja nicht. Die Mauer nach Mexiko? Vielleicht, aber tendenziell wohl eher nicht. Schulterschluss mit Putin? Ganz bestimmt. Nato-Rückzug aus Europa? Vermutlich, was mit enormen Kosten für die Nato-Staaten verbunden sein wird. Förderung der Stahl- ,Öl- und Kohleindustrie in den USA? Sehr wahrscheinlich. Einreiseverbote für Muslime? Eher nicht. Diese Liste liesse sich jetzt schier unendlich erweitern, da der Mann im Vorfeld der Wahlen so viel Müll erzählt hat, dass er vermutlich nicht selber einmal mehr weiss, was er alles versprochen hat. Aber eben, er hat das sehr medienwirksam gemacht und so ganz bestimmt für die nötige Wählerschaft gesorgt. Denn mal ganz ehrlich, wenn sich zum Beispiel in Deutschland Angela Merkel, Dieter Bohlen und Günter Jauch zur Kanzlerwahl aufstellen lassen würden, wer würde wohl gewählt? Ganz bestimmt nicht die Person mit der Erfahrung in Sachen Politik, sondern die beiden TV-Gesichter, die jeder kennt. Genau so war es in den USA, Trump hatte über Jahre seine eigene TV-Sendung und hat sich auch sonst clever vermarktet, kein Wunder also hat man den guten Onkel gewählt. Rassistische und frauenverachtende Sprüche hin oder her, dass viele Amis auch genau so denken, ist nicht neu.

Ich denke, dass eine Art Angst und Respekt vor der Zukunft durchaus berechtigt ist, in Panik verfallen sollte man dann aber doch nicht. Klar, die Welt steht vor einem grossen Krieg, aber auch das ist nun nicht wirklich neu. Schliesslich ist Trump nicht der einzige Kriegstreiber auf dieser Kugel. In genügend anderen Staaten sind ähnliche Idioten an der Macht, der Film "Idiocracy" lässt grüssen! Viel schlimmer finde ich, dass eine solche Wahl Auswirkungen auf anstehende Entscheide haben wird. In Frankreich gibt es bald Wahlen, Holland kommt bald, in Deutschland ebenfalls im nächsten Jahr, Österreich schafft es eventuell dann doch auch noch mal. Und meine Befürchtung ist nun, dass man sich da überall die USA als Vorbild nehmen wird und ultrarechte Politiker (zu denen ich Trump auch zähle) das Rennen machen werden: Le Pen, Wilders, Petry, Orban, Strache und Co. lassen grüssen. Ja am Schluss steigt der Blocher noch einmal aus der Gruft und tritt nochmal an. Und ich dachte, Halloween und die Zeit der Horrorclows wären vorbei. Gut, heute beginnt immerhin die Fasnacht, was solche Fratzen einigermassen rechtfertigt. 

Aber eben, malen wir nicht die ganze Wand gleich schwarz an, die Amis haben gewählt und jedes Volk verdient schliesslich seinen Präsidenten, den es auch verdient. In diesem Falle haben sie vermutlich eher die Arschkarte gezogen, aber tja, selber schuld. Ich bin zumindest sehr gespannt, was der Mann dann ab Mitte Januar alles anstellt und wie lange er wirklich im Amt ist, denn der CIA hat keine unerhebliche Macht, was Amtszeiten von Präsidenten angeht... 

In diesem Sinne, ein schönes und möglichst unpolitisches Weekend allerseits. Und ah ja T-Seven von Mr. President ist inzwischen als Radiomoderatorin und Countrysängerin unterwegs und sieht ein wenig anders aus als damals. Und sie trägt, zur Freude ihrer Mutter, endlich regelmässig Klamotten. 

Von CHR!S - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39206997

19. April 2012

Sind die Tage von Sarkozy gezählt? Und dann...

An den nächsten zwei Wochenenden entscheiden 44,5 Millionen Franzosen über ihren nächsten Präsidenten. In den Umfragen liegt der sozialistische Herausforderer Francois Hollande knapp vor Amtsinhaber Nicolas Sarkozy. Machen unsere westlichen Nachbarn ihren Fehler aus 2007 wieder gut und wählen Sarko ab? Oder anders gefragt, ist Hollande wirklich das kleinere Übel? Nun, den Franzosen ist es vielfach egal. Hauptsache sie kriegen ihre 35-Stunden-Woche und ihr Rentenalter 60 zurück (der Durchschnittsfranzose liess sich übrigens vor der Sarkozy-Reform mit 58 pensionieren!) zurück. Jugendarbeitslosigkeit und Schuldenberg lassen grüssen. Aber wer macht denn nun das Rennen? Monsieur Fischer wagt eine Prognose. 



Man betrachte Hollandes Strategie im Lichte, passend zur Champions League-Woche, eines Fussballspiels. Nach einem frühen Treffer (die Führung in Meinungsumfragen) verlegt er sich nun auf den "Catenaccio" (eine reine Defensivstrategie, erfunden von den Italos) die Sarkozy an einer Aufholjagd hindern soll. Es könnte funktionieren, aber diese Taktik trägt auch zu einer gewissen Monotonie in Hollandes Wahlkampf und einem Mangel an Begeisterung für seine Person bei.

Hollande war so erpicht darauf, seine "Normalität" im Vergleich zu Sarkozys masslos selbstverliebter Natur herauszustellen, dass er jetzt etwas blass und banal wirkt. Zum Beispiel Mohammed Merahs Mordserie in Toulouse im März, auch sie hat sich zugunsten Sarkozys ausgewirkt, der froh war, die Wahlkampfdebatte von sozialer Ungerechtigkeit auf Sicherheitsfragen lenken zu können. Aber obwohl Sarkozy momentan - entgegen der Meinungsumfragen - etwas stärker erscheint als zu Beginn des Wahlkampfes, steht er immer noch vor gewaltigen Herausforderungen, die womöglich nicht zu überwinden sein werden.

Sprich, eigentlich ist man in Frankreich mit keinem der zwei Spitzenkandidaten wirklich zufrieden. Die Wahl könnte darum einfach auch zu einem Wettrennen zwischen der Ablehnung gegenüber Sarkozy und der mangelnden Leidenschaft für Hollande werden. Aus diesem Grund wäre es auch möglich, dass diesmal auch die – bei  französischen Präsidentschaftswahlen normalerweise bemerkenswert niedrige Wahlenthaltung  – eine wichtige Rolle spielt. Und auch die Tochter vom ultrarechten FN-Politiker Jean-Marie Le Pen darf man nicht ganz vergessen. Sie könnte die lachende Dritte werden. 

Liest man französische Zeitungen oder schaut französisches TV, dann merkt man, dass sich im gesamten politischen Spektrum ein Gefühl des Bedauerns breit macht: "Wenn wir nur einen präsentableren Kandidaten als Sarkozy hätten",  murrt man bei den Konservativen. "Wenn wir nur einen charismatischeren Kandidaten als Hollande hätten", lamentiert man im sozialistischen Lager. Hollankozy?


Letztlich wird sich dieser Wahlkampf aufgrund des mangelnden Interesses an den Wahlprogrammen der Kandidaten als bemerkenswert erweisen. Die Franzosen sehen keinen echten Unterschied zwischen einem Amtsinhaber, der seine Versprechen nicht gehalten hat und einem Herausforderer, dessen Versprechen nicht zu halten sind. Wir erinnern uns an das Rentenalter, die 35-Stunden-Woche oder die halbe Million Jobs, welche Hollande den französischen Jugendlichen versprochen hat. In einem Satire-Magazin habe ich den folgenden Ratschlag an die Kandidaten gelesen: "Während des Wahlkampfes meidet ihr idealerweise ernste Themen wie die Staatsverschuldung, dann wird das Volk später auch nicht erwarten, dass ihr diese Probleme in Angriff nehmt, wenn ihr an der Macht seid."

Bei starkem Sturm und schwerer See kommt es natürlich auf die Erfahrung des Schiffskapitäns an. Doch angesichts der Probleme der französischen Wirtschaft und der Zwänge der Europäischen Union – von denen der Weltwirtschaft in einem globalisierten Zeitalter ganz zu schweigen – verfügt kein Präsident über grossen Spielraum, das nötige Charisma oder gar Lösungen. Die Franzosen werden daher grösstenteils auf Grundlage der Persönlichkeit und des persönlichen Stils entscheiden und weniger auf Basis der Wahlprogramme der Kandidaten. Nicht zu vergessen, die First Ladies: Mit Carla Bruni und Valérie Trierweiler hat man da die Wahl zwischen einer Diva/Model aus reichem Haus und einer ehemaligen TV-Journalistin, die sich aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hat. Auch hier gelten aber wohl eher Äusserlichkeiten den Inhalte oder Fakten. Fazit: Obwohl Hollande derzeit noch immer bessere Chancen hat, könnte das Ergebnis knapper als erwartet ausfallen.

1. März 2012

Klein Marseille in Aarau

Escargots à l'alsacienne, Entrecôte de boeuf grillée, Salade Niçoise, Chèvre chaud, Tarte citron... wem bei dieser Aufzählung das Wasser im Mund zusammenläuft, der sollte diesen Text unbedingt bis zum Ende weiterlesen. Erst recht, wenn er oder sie in der Umgebung von Aarau wohnt. Frankreich ist nämlich wieder in der Kantonshauptstadt angekommen. Wieder? Ja, im Jahre 1798, zur Zeit der Helvetischen Republik, war Aarau Hauptstadt der alten Eidgenossenschaft - dank kräftiger Unterstützung der Franzosen. Quasi eine Art Tochterrepublik der Grande Nation. Und nun, 200 Jahre später sind sie wieder da, die Franzosen. Wobei, Moment. Der Chefkoch im Marmite (ehemals Kafi Waldmeier) ist kein Franzose, er ist Marseillais - was ein grosser Unterschied ist. 


Aber beginnen wir die - ziemlich witzige - Geschichte von vorne. Es ist keine Woche her, seit wir rein zufällig entdeckt haben, dass das ehemalige Café Waldmeier am Graben wieder offen hat. Die kleine Terrasse gehört in Aarau zu den schönsten überhaupt und auch das Interieur hat noch etwas vom alten Charme, den früher auch das Kafi Hitz (heute ist da die Pizzeria Olive drin) oder das Café Brändli verströmt haben. Nun denn, hinauf in die erste Etage und hinein ins Lokal. Doch Moment, die gesamte Inneneinrichtung erinnerte so überhaupt nicht mehr an die früheren Zeiten - nein, man fühlte sich auf einmal wie Mitten in Frankreich. In einem kleinen französischen Restaurant, irgendwo an einer Stadtgrenze. Rotweiss karierte Tischdecken, Lavendel, alte Email-Schilder, Kochbücher von Bocuse, auf einem Tisch standen mit Glashauben bedeckte Kuchen und Torten, auf einem anderen frische Kräuter in Töpfen, an der Wand hängt eine mit Kreide beschriftete Tafel. Begrüsst wurden wir von einer freundlichen Dame, mit französischem Akzent nahm sie eine Bestellung auf. Während die anderen Gäste Kaffee vor sich stehen hatten, entschieden wir uns für einen Rotwein. Der übrigens sehr lecker war... 

Mein Herz schlug natürlich höher, als ich auf der Tafel las, dass es im neu eröffneten Lokal ausschliesslich französische Spezialitäten zum Essen gibt. Aber es geht noch mehr. Aus einem anderen Raum hörte ich einen Mann reden, in einem Dialekt, den man nur in Marseille redet (und versteht). Auf einmal betrat ein hagerer Herr den Raum, paffte auf der Terrasse eine Zigarette und sprach mit seinem Handy... ein Marseillais! Ich hab ihn vermutlich in dem Moment so angeschaut, wie man den ersten Ausserirdischen auf Erden anschauen würde. Aber zugegeben, meine Freude war gross. Wir kamen ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass er zu der Zeit, als ich in Marseille gewohnt habe, ebenfalls in der Stadt war - angestellt als Koch im Opera-Quartier. Ich kannte sogar das Restaurant, in welchem er damals gearbeitet hatte. Ja wir haben sogar festgestellt, dass wir beim gleichen Araber an der Ecke eingekauft hatten. Und auch in Sachen Kneipen und Discos hatten wir viel zu bereden. Als das Thema dann auf den Fussball kam, genauer auf Olympique de Marseille, war es natürlich passiert... 

Zum Wein gab es süsses und salziges Gebäck. Es brannte eine Kerze auf dem Tisch und beim Zahlen nahm die Wirtin es mit den getrunkenen Gläsern Rotwein auch nicht so genau. Französische Gastfreundschaft halt. Aber ein Restaurant und sein Personal kann - so meine Meinung - erst dann restlos überzeugen, wenn auch die Qualität vom Essen stimmt. Ohne dass Christian Rach nachhelfen muss. Darum gestern Abend der Feldversuch. Quasi als Vorspiel zum Match Deutschland gegen Frankreich. An dieser Stelle sei erwähnt, dass les Bleus den grossen EM-Favoriten Deutschland mit 2 zu 1 Toren vom Platz gefegt haben! Wir entschieden uns - nach einem Pastis auf der Terrasse - für Schnecken nach Elsässer Art, Bine hatte ein Entrecôte an Roquefort-Sauce, ich Ente an Mandarinen-Confit. Zu beiden Hauptspeisen gab es Kartoffelgratin, angerichtet in zwei kleinen Auflaufförmchen - eines rot für die Dame und eines blau für den Herrn. Dazu eine Flasche Rotwein. 

Nun, das Essen war lecker. Jetzt ist es in der Schweiz aber nun mal so, dass wenn man von französischer Küche redet, die Menschen meist an Nouvelle Cuisine oder Paul Bocuse denken. Das hat aber mit der traditionellen französischen Küche etwa so viel zu tun, wie die Schweizer Fussballnati mit der EM in Polen und der Ukraine. Wer schon mal in Frankreich in den Ferien war und nicht gerade in einer Touristenfalle gelandet ist, wird die Küche von Danille und Ange kennen und auch mögen. Es schmeckt halt wie bei Muttern oder in dem Fall wie bei Maman. Die Schnecken waren genial, mit viel Knoblauch und Petersilie. Das Fleisch ebenfalls, mit den Saucen hat es der Chef gut gemeint. Und auch über den Preis vom Wein lässt sich nichts schlechtes sagen. Ganz im Gegenteil sogar. Die Wirtin - welche in den 80er Jahren schon einmal in Aarau war und hier sogar geheiratet hatte - hat im Gespräch erklärt, dass sie noch nicht so weit wäre, wie gewünscht. Einerseits liegt das an den etwas komplizierten Gesetzen im Aargau, welche es unseren Gastronomen nicht immer einfach machen. Auch die Karte (sowohl Getränke als auch Essen) soll noch verfeinert werden. Am Mittag gibt es für CHF 19 ein Essen, das Vor-, Haupt- und Nachspeise beinhaltet. Am Nachmittag gibt es hausgemachte Torten und Kaffee und am Abend dann südfranzösische Spezialitäten, wobei die teuerste Speise CHF 37 kostet. Und dafür gibts dann bestes Kalbfleisch! 

Nun, hat das Lokal eine Chance in Aarau? Es dürfte schwierig werden. Die Beiden geben sich alle Mühe der Welt, sind sehr gute und freundliche Gastgeber. Auch die sonnige Terrasse wird an warmen Tagen Gäste anlocken, am Abend haben sie ebenfalls offen und man kann draussen und drinnen sitzen. Die Preise sind fair, das Ambiente vermittelt Urlaubslaune und trotzdem habe ich meine Zweifel. Die gründen allerdings eher in der Aarauer Mentalität. Wer auf französische Küche steht, der wird wohl gerne Geld ausgeben und geht ins Chez Jeanette. Vertraut der einfachen, aber gut gekochten Landküche nicht. Und wer es nicht kennt, den dürften Schnecken, Schafskäse, Fischsuppe, Aioli, Pistou oder Pissaladière eher abschrecken. Ich kann nur jedem raten, einmal im ehemaligen Waldmeier vorbeizuschauen und sich einfach verwöhnen/überraschen zu lassen. Und sei es nur für ein gutes Glas Rotwein auf der Terrasse. Die Sache mit dem Essen ergibt sich dann von selber. Denn was der Bauer nicht kennt, kann er kennenlernen. 

Vive la France! Marseille à la vie, à la mort!

Nachtrag, AZ vom 7. März 2012: 


17. Oktober 2011

François Hollande en route vers l'Elysée

Frankreichs Sozialisten schicken François Hollande in den Wahlkampf ums Präsidentenamt. Der Kandidat gilt als Mann der Mitte. Ihm werden gute Chancen eingeräumt. Find ich gut, die Tage des kleinen, rechten Tyrannen Sarkozy sind gezählt. Ich hoffe, dass sich die französische Linke nun einigen kann und sich - für einmal wieder - hinter ihre Kandidaten stellt. 

10. Juni 2011

Freudenhaus Olympique de Marseille

Ja, es geht wieder los. Zum Meistertitel hat es in diesem Jahr nicht ganz gereicht, immerhin aber zur direkten Champions League Quali - aber das ist in Marseille zu wenig! Und so hat es gestern in der Mittelmeermetropole mal wieder zünftig gerumpelt und es blieb kein Stein auf dem anderen. Präsi weg, Trainer auf dem Absprung und die Besitzerin des Clubs (Foto) sorgt spontan für zusätzliche 20 Millionen Euro auf dem Bankkonto... Fakten gefällig? Bitte sehr.


Seit gestern ist klar, Didier Deschamps wird auch in der kommenden Saison Olympique de Marseille trainieren. Deschamps war schon als Spieler für Marseille aktiv und ist bei den Fans entsprechend beliebt. 1993 gewann er (gegen Milan) die allererste Ausgabe der Champions League. Zu seinen grössten Erfolgen als Trainer gehören: Meisterschaft, Ligapokal, Supercup, Gruppenphase in der CL. Sein Vertrag gilt noch bis 2012 und das ist gut so! Der Club bestätigte erst am Montag, dass an den kursierenden Abwanderungsgerüchten rund um den Kapitän der Weltmeistermannschaft von 1998 nichts dran sei. Am Dienstag dann erneut Gerüchte über Angebote aus dem Ausland, die sich bis gestern tapfer hielten - erst dann war klar: Deschamps bleibt! In meinen Augen waren all diese Gerüchte nur einen Nebenschauplatz, um im Hintergrund den wahren Deal zu planen.

Während der Trainer also bleibt, gab es dagegen einen eher überraschenden und vorallem plötzlichen Wechsel an der Spitze des Vereins. Der neunmalige französische Meister hat per sofort einen neuen Präsidenten. Der bisherige 40jährige Vincent Labrune (Foto rechts) übernimmt das Amt von Jean-Claude Dassier (Foto links). Der geborene Pariser und ehemalige TF1-Fernsehmann hatte es in Marseille nie einfach. Er war vom Typ her bei den Fans nicht beliebt, seine Transferpolitik liess zu wünschen übrig, die Titelverteidigung wurde erwartet, aber nicht erreicht und eben - er kam aus Paris! Das war zuviel für das Pulverfass OM, Dassier wurde, zusammen mit seinem Kollegen Antoine Veyrat, kurzerhand in die Wüste geschickt - mit einem 2 Millionen Euro Rucksack. Es ist nun damit zu rechnen, dass Labrune Trainer Deschamps mehr Freiheiten gibt in Sachen Transfers. Damit das auch funktioniert hat die Besitzerin des Vereins, Margarita Louis-Dreyfus (die Witwe des ehemaligen Schweizer Besitzers RDL), mal schnell 20 Millionen Euro locker gemacht, welche für allfällige Defizite und neue Spieler eingesetzt werden dürfen. 20 Millionen Euro? Damit würde der FC Aarau lockere 5 Jahre überleben... 

Nun, Vincent Labrune ist wohl nur die Notlösung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Newbie längerfristig auf dem Präsidentensessel von OM sitzen bleibt. Das Stadion wird aktuell - nur gerade 13 Jahre nach dem Komplettumbau - zu einem modernen Fussballtempel umgebaut, die Ansprüche der Fans sind überirdisch und auch das Sponsoringumfeld fordert weitere Titel. Nationale Meisterschaften und internationale Erfolge sind gefragt, dazu sollen Nationalspieler wie Alou Diarra ins Vélodrôme gelockt werden. Aber wer ist verrückt genug diesen Job zu übernehmen? Kommt der alte und äusserst beliebte Präsi, Pape Diouf, zurück oder ein Bekannter aus ganz früheren Tagen? Bernard Tapie wurde von einer französischen Sportzeitung angefragt, ob er denn noch einmal Lust hatte. Sagen wir mal so, ein Dementi sieht anders aus. Aber ganz ehrlich, wer sonst ausser Tapie (Foto) würde besser ins Irrenhaus OM passen... die Chancen dass der Club dann in ein paar Jahren wieder komplett pleite und zwangsabgestiegen ist sind gross, aber das kümmert heute natürlich noch niemanden. Hauptsache man feiert zuvor noch ein paar Erfolge!

PS: Ein kurzes Wort noch zum gestrigen Finale von Germay's Next Top Model Finale bei Pro7. Die Jana hat gewonnen. Ich wusste gar nicht, dass Pferde und/oder Breitmaulfrösche bei diesem Wettbewerb auch zugelassen waren... mein Fall ist die Jana Beller auf jeden Fall überhaupt gar nicht. Aber auch egal, analog der letzten Siegerin Alisar oder den Pro7-Popstars-Bands wird man sich in gut einem Monat eh nicht mehr an diese junge Frau erinnern.

3. Juni 2011

Ein Anflug von Fernweh

Dazu ein freier Auffahrtstag, unzählige Fotos aus der "Heimat", die Musik von Patrick Fiori und ein simples Video-Maker-Programm. Das Ergebnis gibts hier und heute im Blog. Okay, einen Oscar krieg ich dafür wohl eher nicht, aber das kitschige Filmchen verkürzt mir die Wartezeit bis übernächste Woche - bis ich nach meiner Ankunft im Gare Saint Charles im Vieux Port, La Provence lesend, den ersten eisgekühlten Pastis geniessen kann. Hach!



Fussball gibts übrigens dieses Mal keinen. Die Saison in Frankreich ist rum, Marseille hat sie auf Rang zwei beendet und sich damit direkt für die Champions League qualifiziert. Derzeit wird das Stade Vélodrôme umgebaut, nach guten 10 Jahren reissen sie die Hütte nieder und bauen einen neuen Fussballtempel. Einen Blick auf die Baustelle werd ich mir darum wohl nicht verkneifen können...



10. Mai 2011

Stierkampf, Kultur? Die spinnen, die Gallier!

Stierkämpfe sind französisches Kulturgut. Ja, richtig gelesen. Nicht etwa spanisches, nein, französisches Kulturgut. Und weil das so ist, dürfen sie in Frankreich weiterhin durchgeführt werden. Diesen Entscheid hat das französische Kulturministerium letzte Woche gefällt. Ich bin ja wahrlich ein Mensch, der Frankreich mag, ja sogar von ganzem Herzen liebt. Aber wenn ich solche News höre, da bleibt auch mir nur ein heftiges Kopfschütteln. 


Selber habe ich in Frankreich bis heute nur die sogenannten Courses Camarguaises, also die unblutige Form des Stierkampfes, live miterlebt. Da geht es in den südfranzösischen Dörfern darum, den mutigsten jungen Mann zu finden, der es zum Beispiel wagt, dem Stier ein farbiges Bändchen oder einen Bommel vom Kopf zu reissen. Meist finden diese Fêtes votives in unzähligen Orten des Rhônedeltas gegen Herbst, wenn die Tiere von der Weide zurück auf den Hof geholt werden, statt. Aber eben, auch da kann man darüber diskutieren, wieviel Spass diese Spielchen den Tieren machen. Der Schutz für die Männer ist eine farbige Holzwand, hinter der sie sich verbergen können. Bloss, springen auch die provozierten Stiere normalerweise dagegen. So kommt es nicht selten zu Kopfverletzungen oder dem Verlust des Augenlichts.

Aber eben, in Frankreich gibts eben auch die anderen Anlässe, die Courses des Taureaux. Denn nicht nur in Spanien, sondern eben auch in Frankreich gehört diese perverse Form der Tierquälerei seit Jahrhunderten zur kulturellen Tradition. In rund 60 Städten in Frankreich werden jährlich blutige Stierkämpfe veranstaltet. In südfranzösischen Regionen geniesst der Stierkampf darum schon seit Jahren einen gesetzlichen Schutz. Dieser wird durch das Urteil des Kulturministeriums gestärkt, es ist nun fast nicht mehr möglich, rechtlich gegen diesen Tiermord vorzugehen. Aber seien wir mal ehrlich, Stierkampf eins französisches Kulturgut? Da geht es schlicht darum, die sensationsgeilen Touristen ins Land zu locken, nachdem Spanien die blutigen Kämpfe nach und nach verbietet.

Denn die gegenwärtigen Formen der französischen Tradition entwickelten sich erst ab dem 19. Jahrhundert. Wann und wo der erste Stierkampf in diesen Gegenden stattfand, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass diese "Tradition" aus Spanien eineführt wurde. Wie schon erwähnt, war das Einzigartige an der französische Variante der Stierkämpfe, dass die Stiere nicht immer zum Kampf gezwungen werden. Trotzdem werden leider in den letzten Jahren immer mehr Kämpfe nach brutalen spanischen Regeln veranstaltet und dabei Stiere getötet. Oder fast noch gemeiner, sie erleiden durch die Folgen des Kampfes erhebliche Verletzungen, die früher oder später zum Tod führen.


Warum gerade Frankreich? Verdammt. Atomtests, Vertreibung von Roma, militärische Angriffe auf souveräne Staaten, krasse CRS Einsätze in den Banlieus... die Liste ist lang und wir nun noch durch diesen sinnlosen Beschluss des Kulturministers ergänzt. Sinnlos vorallem ja darum, weil im Mutterland des Stierkampf,  in Spanien, das blutige Spektakel immer stärker umstritten ist. In der nordspanischen Region Katalonien soll er ab 2012 gesetzlich verboten werden. Tierschützer der Organisation „Prou“ hatten erreicht, dass das Parlament im letzten Jahr einen entsprechenden Beschluss fasste. Die spanischen Befürworter wittern nun aber dank dem Entscheid der gallischen Nachbarn aber Morgenluft und streben ebenfalls danach, diese barbarische Sitte mit Hilfe der UNESCO-Konvention vor ihrem Ende zu bewahren.

Und rein vom Gesetz her könnten sie damit sogar noch durchkommen. Denn im Vertrag von Lissabon werden beim Tierschutz explizit Ausnahmen vorgesehen, die auf "kulturelle Traditionen" Rücksicht nehmen. Dazu gehören "Praktiken, Darbietungen, Ausdrucksformen, Kenntnisse und Fähigkeiten" die als Teil ihres kulturellen Erbes angesehen werden. Tierquälerei wird in diesem Vertrag nicht explizit erwähnt... Faktisch sind also alle Formen der archaischen Tradition des Stierkampf in Zukunft möglich. Während eine grosse Mehrheit der Franzosen diese Quälerei der erwiesenermassen empfindungsfähigen und sensiblen Tiere ablehnt, machen sich konservative Kreise ein Hobby daraus, sie zu fördern. Gründe? Wie erwähnt bestimmt der Tourismus, aber in meinen Augen sind das bereits erste Auswüchse des rechten Präsidentschaftswahlkampfs 2012. Da rechnen genau diese konservativen Gruppierungen mit immensen Wahlerfolgen. Ihre Spitzenkandidatin Marine Le Pen hatte ja bereits Anfang dieses Jahres angekündigt, unpoluläre Themen anzusprechen, an denen sich bislang niemand die Finger verbrennen wollte... Bonne Nuit la Grande Nation!

25. April 2011

Marseille: Un doublé historique

Ja, sie haben es wieder getan! Titelverteidiger Olympique de Marseille hat als erster Fussall-Verein in Frankreich überhaupt zum zweiten Mal in Folge den Liga-Pokal gewonnen und somit den Titel verteidigt. Bravo les gars!


Gebannt sass ich am Samstagabend vor der Glotze, allein. Der Rest der Schweiz hat sich Basel gegen YB angeschaut, aber als Marseille-Fan ist und bleibt man in der Deutschschweiz nun halt mal ein Exot. Anders in Frankreich: 79 000 Zuschauer verfolgten das Spiel im Pariser Stade de France, davon mehr als die Hälfte Fans aus Marseille. Das Tor zum 1 zu 0 Sieg von OM gegen Montpellier schoss der nigerianische Verteidiger Taye Taiwo in der 80. Minute. 


"Die Siegmaschine läuft weiter reibungslos", schrieb die grosse Sportzeitung L'Équipe in ihrer gestrigen Ausgabe. Nicht ohne Grund: In der vergangenen Saison hatte der Club mit dem Gewinn des Liga-Pokals eine 17jährige Titeldürre beendet. Danach gabs das Triple! "Nach dem ersten Titel haben alle verrückt gespielt. Aber auch dieser Triumph ist sehr schön", sagte Olympique-Trainer Didier Deschamps kurz nach dem Abpfiff. Okay, er konnte ja nicht ahnen was zu genau dieser Zeit in Marseille selber abging. Im Vieux Port (der alte Hafen von Marseille) feierten tausende OM-Fans spontan und vorallem bis in die frühen Morgenstunden. Die Fans tanzten auf Autodächern und Bartischen. Und wenn sich jetzt jemand fragt, warum das folgende Video ein bisschen so aussieht wie Zürich am 1. Mai... das ist halt Marseille. Ils sont fou de foot!


Mit dem Pokal-Gewinn sicherten sich die Deschamps-Schützlinge die Teilnahme an der Europa League. Die Fans, der 42-jährige Coach und seine Kicker wollen aber mehr! Viel mehr. In der Ligue 1 liegt Marseille sieben Runden vor Saisonende nur gerade einen winzigen Punkt hinter dem Führenden OSC Lille auf Rang zwei. "Dieser Titel wird uns für die Liga gewiss noch mehr Selbstvertrauen, Ruhe und Entschlossenheit geben", hofft Deschamps. Hoffen wir mal. Immerhin hat sich Marseille mit dem Titel vom Samstag die alleinige Führung in Sachen Trophäen sammeln gesichert, kein Verein konnte in Frankreich seit der Gründung der Liga mehr Titel und Pokale abstauben. 

Und bevors noch ein paar hübsche Fotos vom Samstag gibt, noch kurz mein persönliches Resumée zum Spiel. Mann des Spiels? Okay, Taiwo hat die Kiste gemacht. Aber Mathieu Valbuena hat sich einmal mehr seinen Allerwertesten aufgerissen und die Mannschaft mit seinem Kampf 90 Minuten nach vorne gepeitscht. Dafür mein Man of the Match. Eher enttäuscht haben Lucho und Gignac. Der Moment des Spiels? Fand eindeutig nach dem Spiel statt. Die mitgereisten OM-Fans (laut Medienberichten waren rund 50'000 von ihnen im Stadion) sangen mit breiter Brust für Marseille typische Fan-Songs - angeheizt vom Speaker im Feindesland von Paris. Gänsehaut! Ja sogar die sonst redefreudigen TV-Reporter blieben für einmal stumm. Unbestätigten Berichten zufolge, sollen sich wütende PDSG-Fans bei der örtlichen Polizei über den "Lärm" beschwert haben... die Gesänge waren bis tief in die Nacht weit aus dem Stade de France hinaus zu hören.









7. April 2011

Der neue Houellebecq Roman ist da!

Also fast, denn in deutscher Sprache erscheint "Karte und Gebiet" vom französischen Schriftsteller Michel Houellebecq morgen Freitag. Ich bin ja bekennenderweise nicht der wirklich grosse Roman-Leser. Sachbücher, Biografien oder Kurzgeschichten haben es mir da schon mehr angetan. Aber es gibt ein paar Schreiberlinge, von denen freue ich immer wieder, wenn es neue Werke gibt von ihnen. Michel Houellebecq ist einer davon, da geht die Verehrung - ähnlich wie bei Philippe Djian so weit, dass ich mir das Buch auch gerne mal schon in der französischen Fassung kaufe. Nun also "Karte und Gebiet" oder auf französisch eben "La carte et le Territoire".

Worum gehts? Im Zentrum des Romans steht der Pariser Maler Jed Martin, der - vorbelastet durch seinen Grossvater, der Fotograf war - auf die glorreiche Idee kommt, Michelin-Karten zu fotografieren und zu bearbeiten. Er hebt Berge und Täler, Straße und Flüsse deutlicher hervor und titelt: "Die Karte ist interessanter als das Gebiet". Doch eine gute Idee macht noch lange keine Karriere. Dazu braucht es die Glück, Financiers, professionelles Marketing und ein Katalog-Vorwort von Michel Houellebecq. Und genau eben den besucht Jed dann erst in Irland, später in der französischen Provinz, wo der Schriftsteller haust und - Achtung Spoiler - später, samt seinem Hund, Opfer eines Ritualmordes wird.

Tja und nun wisst ihr auch schon, warum ich Houellebecq mag. Er ist so herrlich gestört. In Frankreich hat sich das Buch sensationell verkauft und wurde ausgezeichnet mit dem höchsten Buchpreis, der roten Prix-Goncourt-Schleife. Nicht unbedingt selbstverständlich für einen Skandalschriftsteller als welcher Houellebecq immer mal wieder hingestellt wird. Aber ganz anders als noch in seinem Erstlingsroman "Ausweitung der Kampfzone" oder dem später genial verfilmten Werk "Elementarteilchen", provoziert der Autor in seinem neuen Buch nicht mit sexuellen Abgründen oder Gentech-Science-Fiction. Nein, er hält sich selber den Spiegel vor und bietet ein klassisches Stück französisch-bürgerlichen Lachtheaters. Oder wie ich unlängst in einer Kritik treffend gelesen habe: "Houellebecq singt ein Klagelied auf die ruinöse Kraft des Kapitalismus, auf den Verlust traditioneller Bande und Werte, auf die Unbehaustheit des Menschen: Der mutiert zum liebensunfähigen Egomanen, dessen Kommunikation nur noch in einem "Nein" besteht – etwa auf die Frage der Supermarktkassierin nach der Kundenkarte." Genial!

Witziges Detail, in "Karte und Gebiet" lässt Houellebecq reale Figuren aus der französischen Kulturszene auftreten. So setzt er den koksenden Schriftstellerkollegen und Kritiker Frédéric Beigbeder als Touristenattraktion ins berühmte Café Flore in Saint Germain des Prés oder führt den TV-Starmoderator Jean-Pierre Pernaut vor, der zum Silvesterempfang in seiner Stadtvilla bewaffnete Bauern aus der Vendée am Eingang postiert. Aber Michel Houellebecq geht noch einen Schritt weiter und persifliert sich in seinem Roman-Double lustvoll selbst – und spiegelt sich gleichzeitig in Jed Martin. Denn die Hauptfigur widerspiegelt Houellebecqs eigenes Leben... Schizophren? Klar, hochgradig.

Noch ein paar amüsante Müsterchen aus dem Buch gefällig?  Jed Martin malt ein Bild mit dem Titel "Bill Gates und Steve Jobs unterhalten sich über die Zukunft der Informatik", verdient damit Millionen, kauft sich ein Landhaus, fasst es ein mit einem Elektrozaun und baut sich eine Privatstrasse zum nächsten Supermarkt. Keun Wunder, denn die Massenmedien haben die Parole "Magie des Regionalen" ausgegeben, was Stadt-Ökos und Ausländer dazu animiert hat, die französische Provinz komplett aufzukaufen. Denn in den Städten herrscht das Chaos. Der Sozialstaat ist endgültig Geschichte, afrikanische Migranten strömen nach Frankreich und auf allen Meeren haben die Piraten das Sagen. Schöne Frauen welken dahin wie Blumen, die Familien zerfallen und sogar Lieblingsprodukte im Supermarkt verschwinden, weil die ach so lässigen Produktmanager die permanente "Lust auf Neues" diktieren.


Kurz, kein schönes Buch. Aber seien wir ehrlich, so eines hat auch niemand von Houellebecq erwartet. Er überrascht seine Leserschaft einmal mehr mit einer neuen Facette seines Könnens. Vorbei die Zeiten des Zynikers, der Pessimist ist geblieben und zeigt kein freundliches Bild von Frankreich der nächsten Jahre. Oder wie es die Kritikerin des Bayrischen Rundfunks auf den Punkt gebracht hat: 

"Das Buch ist ein melancholisches Abschiedgeschenk an unsere Welt, wie wir sie bisher kannten. ... Es ist sehr verwirrend, aber auf jeden Fall das Buch der Wahl, wenn man etwas über das Frankreich der Gegenwart wissen will".

30. März 2011

Der Ribéry wars... Los, hängt ihn höher!

Gestern Abend war Fussballzeit: Frankreich gegen Kroatien. Okay, zuerst wurde lecker in der Sonne gegrillt, dazu gabs dank "Radio Star Marseille" viel gute, laute Musik und Vorabinformationen zum späteren Spiel. Schon dabei wurde klar, einer wird keinen besonders gemütlichen Abend erleben: Franck Ribéry! Der Bayern Star sagte in einem Interview im Vorfeld der Partie: "Ich glaube, es wird Pfiffe geben.  Es wird passieren, aber ich muss das akzeptieren und weitermachen." Und gestern Abend war es dann soweit, sein erster Auftritt vor heimischem Publikum seit zehn Monaten. Zwischen seinem letzten Länderspiel am 26. Mai 2010 in Lens gegen Costa Rica und dem Test gegen Kroatien gestern Abend lag der desaströse und äusserst peinliche WM-Auftritt in Südafrika. Wir erinnern uns, der Herr Ribery tat sich dort als Rebell hervor und er führte die Meuterei gegen den allseits unbeliebten Nationaltrainer Raymond Domenech mit an. Zu Recht, wie ich meine!


Diese Aktion fanden jedoch nicht alle ach so wichtigen Menschen toll. Und so wurde Scarface Franck aus dem Kreis der Bleus verstossen und durfte erst am Samstag beim 2:0-EM-Qualisieg gegen Luxemburg zurückkehren. Aber schon im beschaulichen Kleinststaat gab es einen Vorgeschmack, was ihn im Stade de France gegen Kroatien erwarten dürfte. Denn zahlreiche der mitgereisten Bleus-Fans pfiffen ihn und den ebenfalls begnadigten Patrice Evra aus. Peanuts, denn in St. Denis/Paris warteten gestern Abend fast 80.000 auf den Revolutionsführer. Sogar die französische Sportministerin und UEFA Boss Michel Platini gaben vor dem Spiel noch ihren Senf ab und forderten lebenslange Sperren für Ribéry und Evra. Ein perfektes Timing. Aber eben, man geht auch in der französischen (Sport-)Politik gerne mit dem Wind. Denn nach Meinung vieler Franzosen war die WM-Mannschaft " das schändlichste Team das die Grande Nation je hatte". Kein Wunder wurde im Internet und in den Medien vor dem gestrigen Spiel Stimmung gegen Ribéry gemacht. In einer Umfrage der Zeitung "Le Parisien" zeigten sich noch kurz vor dem Spiel 72 Prozent der Teilnehmer "schockiert" ob der Rückkehr der Meuterer.

Für Ribery war es gestern das 50. Länderspiel und darum "etwas ganz Besonderes", wie er versichert hat. Im Vorfeld tat er viel um die Wandlung vom Bad Guy zum Good Guy gegenüber der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen. Ribéry hat sich brav entschuldigt, eigene Fehler eingestanden und sich mit dem Teamkollegen Yoann Gourcuff ausgesprochen, mit dem er bei der WM in Südafrika heftig aneinandergeraten war. Aber eben, Fussballfans vergessen nur ungern und nicht alle nehmen Ribéry die Umkehr ab. Einige Anhänger riefen sogar dazu auf, die Equipe Tricolore von Trainer Laurent Blanc so lange zu boykottieren, wie Ribéry und Evra dem Team angehören. Im Vorfeld der Partie wurde darum spekuliert, Blanc könnte sich deshalb genötigt sehen, Ribery für 90 Minuten auf die Bank zu setzen. Nix da, Ribéry kam in der zweiten Halbzeit - noch vor Gourcouff. Und natürlich gab es Pfiffe, immerhin gelten Fussballfans allgemein als Opportunisten. Und so gab man dem ehemaligen Liebling das, was er scheinbar verdient hat. Piffe der Mannschaftsaufstellung, massive Piffe bei der Einwechslung, Piffe bei jeder Ballberühung und Piffe zum Schluss der Partie. Okay, nicht alle Fans leiden am Lemming-Syndrom, kurz nach seiner Einwechslung waren auch zahlreichen "Ribéry, Ribéry"-Rufe zu hören. Mit zusätzlicher Spieldauer wurden diese Rufe lauter und lauter. Die Piffe weniger und ich hab mir die Frage gestellt, was wohl gewesen wäre, wenn FR das Siegtor geschossen hätte... Oder wie Evra es vor dem Spiel auf den Punkt brachte: "Die, die pfeifen, sind die ersten, die nach dem Spiel mein Trikot wollen." Mir kämen da spontan auch Beispiele aus Aarau oder der Schweizer Nati in den Sinn, aber darum gehts heute nicht.


Übrigens, wie man locker mit offenen Anfeindungen umgeht, hat gestern Abend Kroatiens Coach Slaven Bilic gezeigt. Dem werfen die Franzosen nämlich seit 13 Jahren vor, dass er den französischen Coach Laurent Blanc um die Teilnahme am WM-Finale 1998 gebracht hat. Blanc sah damals nach Provokationen von Bilic und einer Ellbogen-Attacke seinerseits die rote Karte. Noch vor dem Spiel sagte Bilic zu diesem Thema: "Wenn sie mich hassen wollen: Kein Problem!". Es gab dann zwar gestern Abend ein paar Pfiffe, im Vergleich zum Ribéry-Bashing jedoch harmlos. Blanc und Bilic machten dann auch gleich von Anfang an einen auf gute Freunde und umarmten sich noch vor der Partie. Und nach dem Spiel gab es sogar ein paar nette Worte, laut Blanc ist die Affäre von damals siet gestern offiziell aus der Welt geschafft. Tja, jeder hat eine zweite Chance verdient, das sollte auch für Franck Ribéry und Patrice Evra gelten. 


PS1: Die neuen Marine-Shirts der Franzosen - gestern war Premiere - sind ja total genial. Leider derzeit nur noch in S und XXL lieferbar. Aber ich bleibe dran... 

PS2: Oh, der hochgelobte und allseits ach so beliebte SC Bern ist gegen Kloten also doch noch ausgeschieden? Wie schade aber auch... obwohl, wer interessiert sich schon für Randsportarten wie Eishockey - mitten in der Fussballsaison, bei fast 20 Grad.

2. März 2011

"Ma drogue à moi, c'est Jane"

Sagte Serge Gainsbourg. Und wer die Magie dieser Frau einmal live erlebt hat, der weiss - oder besser kann erahnen - was Gainsbourg mit diesem Satz gemeint haben muss. Heute vor 20 Jahren verstarb der Mann, der immer wieder von der Droge Jane Birkin genascht hat, am 2. März 1991 verliess Serge Gainsbourg die grosse Bühne zum allerletzten Mal. Ein Mann der mich seit Kindsbeinen fasziniert hat, wegen ihm hab ich mit 20 mal gemeint, ich müsse anfangen mit Rauchen. Nach ein paar filterlosen Gitanes hab ich diesen Versuch allerdings auch schnell wieder aufgegeben. Trotzdem, bis zum heutigen Tag hängt ein Poster seiner Tochter Charlotte bei mir ihm Wohnzimmer, ich bin zu seinem Grab gepilgert und - wie zu  Beginn erwähnt - seit ich Jane Birkin live gesehen habe, bilde ich mir ein, zumindest eine reale Erinnerung an den Meister zu haben.

"Aujourd'hui adulé, hier ignoré"

Zusammen mit Birkin sang Gainsbourg seinen kommerziell grössten Hit "Je t'aime... moi non plus", das war im Jahr 1969. Das Lied, in dem das Paar mehr stöhnt als singt machte Birkin zum Sexsymbol einer ganzen Generation. Gegen ihren Willen, sie wollte eigentlich Krankenschwester werden, "ich war eine Puppe. Serge hat mich inszeniert", sagte die Sängerin Jahre später über diese Zeit, "da Serge nicht so war, wie er sein wollte, suchte er seine Bestätigung Skandale". Ja, der Serge war manchmal ein gar unartiger Junge... 


Der 2. März 1991. Am Tag seiner Beerdigung auf dem Pariser Friedhof Montparnasse lag nach Erzählungen fast der gesamte Verkehr still. Denn mit Serge Gainsbourg war nicht nur ein Sänger und und Texter einiger der erfolgreichsten französischen Chansons gestorben, sondern das wohl berühmteste «Enfant terrible» der Grand Nation. Gainsbourg war ein Bohemièn, der die Republik mit manchen gesellschaftlichen Tabubrüchen schockierte und ein Idol für die Jugend seiner Zeit. Auf ARTE lief am Sonntagabend eine Dokumentation, mit privaten Bildern - aufzeichnet von seiner Frau und Muse. Der Film zeigte den privaten Serge, sofern es diesen überhaupt gegeben hat.

"Que reste-t-il de Serge Gainsbourg?"

Rückblick: Der Künstler wurde unter den Namen Lucien Ginsburg als Sohn russisch-jüdischer Immigranten geboren, die 1921 aus Russland nach Frankreich gekommen waren. Gainsbourg bezeichnete sich selbst als traurigen und strengen Jungen, der von seinen Mitschülern in der Grundschulzeit oft gehänselt wurde. Mit 14 Jahren schrieb er sich in die Akademie Montmartre ein, jedoch reichte das Talent nicht aus, um sich als Maler zu behaupten. Er zestörte alle seine Werk, griff zur Gitarre und tingelte durch Pariser Bars. Erfolglos. Der Durchbruch kam erst Jahre später, da war Gainsbourg bereits über 30 Jahre alt. Irgendwie wundert es da nicht, dass er auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit Provokationen und Zynismus auf die Wunden reagierte, die ihm das Leben schon bis dahin zugefügt hatte. Judenstern am Arm, grosse Nase, kein Erfolg als Maler, erfolglose Musik... alles musste raus! Dabei sollte ihm sein Alter Ego Gainsbarre zur Seite stehen.


Die von ihm geschaffene Figur Gainsbarre war ein Kettenraucher, Kampftrinker und Frauenheld den er erstmals in seinem Lied "Ecce Homo" aus dem Jahre 1981 beschreibt. Aber wie es so ist und wie wir es aus Jekyll und Hyde kennen, dieser bitterböse Gainsbarre ergriff immer mehr Besitz von Gainsbourg. Der Sänger versteckte sich immer häufiger hinter der Kunstfigur und die Öffentlichkeit spielte mit: Gainsbarre war es, der vor laufender Kamera eine 500-Francs-Note verbrannte. Gainsbarre war es , der Frankreichs Nationalhymne, die Marseillaise, in ein Anti-Kriegslied verwandelte. Gainsbarre war es, der während des Konzerts 1986 im Casino Paris minutenlang Gedichte über seinen Penis zum besten gab. Gainsbarre war es, der 1984 die junge Whitney Houston in einer Talkshow mit sexuellen Sprüchen belästigte und Gainsbarre war es, der im Video zu "Lemon Incest" halb nackt mit seiner damals 14-jährigen Tochter Charlotte auftrat - worum ich ihn als damals 14jähriger Teenie übrigens benieden habe...

"Serge, le poète amoureux des femmes"

Er arbeitete wie ein Besessener und komponierte für Brigitte Bardot, Juliette Greco und Petulia Clark mehrere Erfolgschansons. Er öffnete das französische Chanson für unterschiedlichste Einflüsse von Beat über Reggae bis zur Klassik und schrieb seinen Musen geniale Songs auf den Leib. Mit Brigitte Bardot sorgte er für kurze Zeit als Paar für Schlagzeilen, doch die Frau seines Lebens, an deren Seite er lange Zeit monogam lebte, war Jane Birkin.

Bis kurz vor seinem Tod am 2. März 1991 machte er Witze über seine Herz- und Leberprobleme, den starken Alkohol- und Zigarettenkonsum: "In Alkohol legt man Früchte ein und Fleisch wird geräuchert.", pflegte er zu sagen. Adieu, Serge!

27. Februar 2011

Der Song zum Wochenende

Isabelle Adjani - "Pull marine" aus den tiefen 80er Jahren, vom grossen Serge Gainsbourg, dessen Todestag sich nächste Woche zum 20sten Mal jährt. Dazu jedoch mehr, am 2. März - hier bei Monsieur Fischer.

23. Februar 2011

Libyen sehen und sterben

Ja ja, unser Muammar ist wieder da. Es ist lediglich ein Gerücht, dass Gadaffi noch immer wütend ist wegen dieser WM-Geschichte. Und eigentlich ist es ja auch gar nicht angesagt, über die aktuelle Situation in Libyen Witze zu reissen. Aber wer die gestrige Ansprache von Gadaffi beim libyschen Staatsfernsehen mitverfolgt hat, der musste irgendwie Schmunzeln. Dieser verrückte Typ erinnerte während einer Stunde an eine schlechte Kopie seiner selbst. Sogar Viktor Giacobbo bringt den Gadaffi glaubhafter hin als Gadaffi selber. Ob und welche Drogen unser Freund Muammar genommen hat, werden wir nie erfahren. Ebenso hab ich genau gesehen, dass es Wasser war im Glas, von dem er immer wieder getrunken hat. Und überhaupt, wollte ich heute über das Spiel Marseille gegen Manchester schreiben. Bevor mir diese Rede dazwischen kam.


Mal ehrlich. Wer die 70minütige Rede live auf Libyan State TV gesehen hat, wusste nich ober lachen oder weinen sollte. Was Gadaffi gesagt hat, das hat Angst gemacht. Zwischenzeitlich war mir echt schlecht im Hinblick darauf, dass er all seine Drohungen auch umsetzt. Er nannte sein Volk Hunde, Ratten, Verräter, Gangster und forderte seine Getreuen dazu auf, diese Individuen zu vernichten. Ob die Armee da mitzieht, das wird sich zeigen. Klar ist aber, Gadaffi hat zahlreiche Söldner engagiert, welche ohne Skrupel seine Befehle ausführen werden. Nach der Rede von Muammar al Gadaffi erscheinen mir die Proteste in Ägypten oder Tunesien rückblickend ein bisschen wie ein Kindergeburtstag auf dem Ponyhof. Aber eben, die USA hatten mehrmals die Möglichkeit den Herrscher aus seinem Amt zu hebeln. An die Aktionen in den 80er Jahren erinnere ich mich noch gut, als das Programm von DRS 1 unterbrochen wurde. Obwohl man damals den Begriff "Breaking News" noch nicht gekannt hat. Und ich hab dann als Teenie meine Mutter gefragt, ob es nun Krieg gibt bei uns. Unnötigerweise wurden genau zu der Zeit auch einmal die Sirenen getestet, diesen Schock werd ich wohl nie vergessen. Aber eben, ich war ein Kind. Inzwischen schau ich die Situation differenzierter an. Hab 09/11 als Journalist in einer 48 Stunden Dauersendung quasi "live" miterlebt und kommentiert. Entsprechend mach ich mir aktuell weniger Sorgen um die Weltsicherheit, als vielmehr um das geknechtete Volk in Libyen. 

Wie sich die Situation im Land entwickelt, kann derzeit niemand voraussagen. Gadaffi wird so schnell nicht aufgeben, er wolle lieber als Märtyrer sterben als abzuhauen, hat er gestern gesagt. Auf Unterstützung von ausserhalb kann er wohl auch nicht mehr hoffen, daran wird sich nicht einmal mehr der pervese Idiot Italo-Chef Berlusconi die Finger verbrennen wollen. Darum meine laienhafte Prognose: Der Gadaffi wird jetzt noch ein paar hundert Bürger mit in den Tod reissen, bevor sich die internationale Gemeinschaft zu einem klaren Statement durchringen kann. Die Amis werden dann irgendwann einen Flugzeugträger schicken und den Präsidentenpalast zubomben. Den Rest kennen wir ja aus dem Irak. Denn schliesslich gibts in Libyen ganz viel Öl!

Was für ein Mittwoch. Erdbeben in Christchurch, der von und zu Guttenberg ist auch immer noch in den Schlagzeilen und heute Abend spielt OM. Zum Guttenberg nur soviel, klar war es saudumm von ihm die Zitate nicht als solche zu deklarieren. Ob er deswegen aber ein besserer oder schlechterer Politiker ist? Ich weiss es nicht. Was ich aber weiss ist, dass doch so mancher bei seiner Abschlussarbeit bescheisst. Das mit dem spicken und kopieren beginnt ja schon in der Primarschule. Auch Blogs sind nicht sicher davon, ja sogar Facebook-Statusmeldungen werden einfach geklaut. So wirklich verwundert hat mich das Malheur vom Gutti darum nicht. So, habe fertig. Die Welt dreht durch und ich drehe mit. 


Heute Abend 20 Uhr 45 Uhr. Ich wage mich in die Höhle des Löwen. Das Penny Pub in Aarau zeigt das Spiel zwischen OM und Manchester United - der Cheffe des Ladens ist oder war der Präsident des United Fanclubs Deutschschweiz. Meine Wenigkeit bekennender OM-Fan und passives Mitglied der Ultras. Und als ob das nicht genug wäre, die Barchefin kommt aus Paris und steht auf PSG und Arsenal. Juhuu, ich habe ein nettes Tischchen reserviert und wir werden ein paar Leute sein, die Marseille die Daumen drücken. Eines ist sicher, Emotionen sind vorprogrammiert: ich hoffe, das Spiel vermag die Erwartungen zu bestätigen! Allez l'OM!

9. Februar 2011

Schwulenhasser im Stade Vélodrôme?

Und da ist er schon, der nächste Skandal aus Marseille! Morgen Donnerstag müssen sich die Verantwortlichen von Olympique de Marseille vor dem Liga-Ausschuss verantworten: es droht eine drastische Strafe! Der Vorwurf, Marseille-Fans sollen wiederholt Homosexuelle diskriminiert haben. Zum letzten Mal am vergangenen Wochenende im Heimspiel gegen den Tabellenletzten Arles-Avignon. 

Was war passiert? Nun, sagen wir mal so. Marseille hat in letzter Zeit nicht so wirklich toll gespielt. In der Tabelle ist der Titelverteidiger derzeit "nur" auf Platz vier, mit 6 Punkten Rückstand auf den erstplatzierten LOSC. Noch viel schlimmer, Paris Saint Germain ist einen Punkt vor OM. Dann das Aus im Cup gegen Evian und überhaupt, schlechte Stimmung auf und neben dem Platz. Zu viel für die Fans! Mit ziemlich eindeutigen Plakaten wollten die Ultras, Winners und Co. ihren Spielern Feuer unter dem Arsch machen. Sprüche wie "Bougez vos culs!" oder "Bandes de Tafioles, soyez des hommes!" waren zu lesen. Auch bei anderen Spielen gibts immer mal wieder Gesänge wie "Sarkozy, c'est un PD, les Stéphanois c'est des PD...!" Und wenn man weiss, dass für die Marseillais PSG eigentlich nur PDSG heisst - ebenfalls eine Anspielung auf Schwule - dann lässt sich erahnen, dass es vermutlich nicht dass erste Mal gewesen sein dürfte, dass man in diesem Stadion faule Sprüche auf Kosten von Homosexuellen gemacht hat. 


Ein Zustand der verwundert. Gelten die Fans von Olympique de Marseille doch eigentlich eher als links und sympathisieren mit europäischen Vereinen wie St. Pauli oder Celtic Glasgow. Rassismus ist verpönt im Stade Vél, Homophobie wird scheinbar geduldet. Nun muss sich der Verein also vor der Liga verantworten, noch ist unklar welche Sanktionen in Frage kommen. Präsident Dassier hat sich inzwischen an die Fanclub-Präsidenten gewandt und die Aktionen vom Weekend scharf verurteilt. Ebenso hat er die Verwantwortlichen aufgefordert, selbstständig zu handeln und diskriminierende Aktionen im Keim zu ersticken. Obs was bringt?

Bemerkenswert an der Geschichte ist, dass der Fall von Paris Foot Gay aufgedeckt wurde. Ja, so etwas gibts in Frankreich, eine Vereinigung, welche sich um die Rechte und Anliegen von homosexuellen Fussballern kümmert. Mit direktem Link zum Fussballverband. Seit einigen Jahren habe man die Zustände in Marseille beobachtet, die Banderole vom letzten Samstag habe nun das Fass zum überlaufen gebracht, schreibt PFG in einer Medienmitteilung. Vorallem darum, weil in der Mittelmeer-Metropole nicht nur die Fans immer wieder mit negativen Äusserungen auffielen, sondern auch der Betreuerstab. In regelmässigen Abständen würden Schieds- und Linienrichter in ihren Protokollen festhalten, dass sie von der OM-Bank aus als Schwule beschimpft würden. Gastfreundschaft sieht anders aus. 

Und nun? OM hat seinen nächsten Skandal, die Vorbereitung auf das wichtige Spiel gegen Manchester United ist gestört und aufgrund von Verletzungen fehlen ein paar Teamstützen - vorallem Mathieu Valbuena! Die Fans haben ihren Ruf als die härtesten und gemeinsten (aber gleichzeitig auch kreativsten und treusten) des Landes wieder einmal zementiert, wenige Monate nachdem einer ihrer Anführer in Spanien zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er sich in einem Fussballstadion lautstark gegen Faschismus in Reihen der Ordner geäussert hat... Widerspruch komm hervor, du bist umzingelt. Aber das ist Marseille, genau das ist Marseille... Und dafür liebe ich diese Stadt und ihren Verein - okay, natürlich nicht für die diskriminierenden Sprüche! Nein, ganz bestimmt nicht. Aber dafür, dass alles immer so schön chaotisch ist und zwar genau dann wenn man denkt, jetzt sei doch eigentlich alles in Ordnung. Immerhin ist man Meister, aktuell in der Tabelle Vierter und in der Champions League noch dabei. Und das nach x Jahren der Trostlosigkeit ohne Titel. Aber eben, hat man keine Probleme, dann schafft man sich eben selber. 

Die wenigen Idioten, welche nun mit ihren Spruchbändern für eine Anklage gesorgt haben gehören aus dem Verkehr gezogen. Der Ruf Marseilles als grosser Suppentopf mit vielen scharfen Zutaten, der immer am köcheln ist, aber nie überkocht, darf durch solche Aktionen nicht zerstört werden.

20. Januar 2011

Marseille, der geilste Club der Welt

Ja klar, diese Ausssage beruht natürlich auf der Euphorie, dass sich Olympique de Marseille gestern Abend für das Finale des Coupe de la Ligue im Stade de France qualifiziert hat. In Paris übrigens, der meist gehassten Stadt für jeden OM-Fan. Okay, es ist "nur" der Ligacup. Nach der Meisterschaft und dem Coupe de France der drittwichtigste Wettbewerb im französischen Fussball. Aber egal, immerhin ist Marseille Titelverteidiger und das Spiel im grössten Stadion Frankreichs wird am 23. April mit weit über 70'000 Fans ausverkauft sein. Und schliesslich ermöglicht ein Pokalsieg den direkten Einzug in die Euroliga - sofern es mit der Champions League nicht klappen sollte. 


Das tolle an diesem Sieg von gestern Abend ist ja, dass er mal wieder typisch war für OM-Verhältnisse. Noch vor 10 Tagen ist man im französischen Cup gegen Evian ausgeschieden. Ja genau, das Evian das eher für Mineralwasser denn für Fussball bekannt ist. Spott und Häme liessen natürlich nicht lange auf sich warten, der Meister 2010, Ligacup- und Supercupgewinner, CL-Teilnehmer verliert gegen die Amateure vom Genfersee. In Marseille selber gab man erst einmal dem schlechten Platz schuld und danach den Spielern. Allen voran rückten Gignac und Brandao in die Kritik der Fans. Und wer die OM-Fans (und Medien) kennt weiss, da geht man nicht gerade zimperlich um mit den Akteuren. Aber, beide Stürmer haben bis dahin wirklich schlecht ausgesehen, je 1 Tor seit Beginn der Saison. Das ist nicht viel, vorallem wenn man bedenkt mit welchen Vorschusslorbeeren Gignac im Vélodrôme angekommen ist.

Nun gut, eine Woche Schelte vom allerfeinsten und am Sonntag ging es dann weiter in der Liga. Zu Gast war Bordeaux, ein durchaus starker Konkurrent. Und wer schoss die Tore zum Sieg? Genau, Gignac und Brandao. Auf einmal wurden sie von den Fans (und den Medien) wieder geliebt und auf Händen getragen. So sehr, dass sie Trainer Deschamps gestern in die Startelf berufen hat. Das Halbfinale gegen Auxerre (mit dem Schweizer Grichting) ging mit 2 zu 0 Toren zu Gunsten von Marseille aus. Und wer schoss die beiden Tore? Genau, Gignac und Brandao. Die einzigartige OM-Fankultur feiert zwei neue Helden, nachdem Brandao vor der Winterpause noch beinahe nach Elba verbannt worden wäre...

Genau das ist Marseille. Steiler Aufstieg, tiefer Fall. Das zieht sich durch die Clubhistorie seit der Gründung im Jahre 1899. An welcher übrigens ein Schweizer nicht ganz "unschuldig" war, genau wie zu einem späteren Zeitpunkt mit Jean-Pierre Egger oder Robert Louis Dreyfus immer wieder Eidgenossen im OM-Boot sassen. Aber eben, das ewige Auf und Ab charakterisiert den Club aus der Mittelmeer-Metropole. Als ich Mitte der 90er Jahre in MRS gewohnt habe, da wurde man gerade zwangsrelegiert - als Champions League Sieger. Der nationale Meistertitel wurde OM wegen Bestechung aberkannt, den internationalen Titel durfte man behalten. Obwohl sich bis heute hartnäckige Gerüchte halten, die Mannschaft sei gegen Milan gedopt gewesen. Rudi Völler und Tony Cascarino brachten als ehemalige Spieler selber entsprechende Gerüchte in Umlauf. Überhaupt sieht man in Marseille gern die ganz grossen Namen im hellblauweissen Maillot. Ein paar Beispiele gefällig? Bitte sehr, schön nach Alphabet.

- Klaus Allofs
- Gunnar Andersson
- Fabien Barthez
- Franz Beckenbauer
- Laurent Blanc
- Alan Boksic
- Eric Cantona
- Djibril Cissé
- Marcel Desailly
- Didier Deschamps
- Didier Drogba
- Christophe Dugarry
- Kalle Förster
- Erik Gerets
- Raymond Goethals
- Andy Köpke
- Frank LeBoeuf
- Samir Nasri
- JPP
- Robert Pires
- Fabrizio Ravanelli
- Franck Ribéry
- Jean Tigana
- Rudi Völler
- Chris Waddle
- George Weah

Aus all diesen Spielern liesse sich auch locker eine Jahrhundertelf basteln. Nur, häufig hatten sie während ihrer Marseille-Zeit gerade keine Lust, waren verletzt oder noch vor dem grossen Durchbruch. Entsprechend ging in den 90er Jahren in Sachen Titel so ziemlich gar nichts. Erst 2006 durfte man wieder einen - immerhin - Vizemeister-Titel feiern und konnte sich international zeigen. Ich erinnere mich dabei gerne an die Auftritte in Bern gegen YB. Auch im neuen Jahrhundert gabs Skandälchen, so mussten ein paar Angestellte hinter Gitter, nachdem bekannt wurde, dass Sozialabgaben für Spieler nicht bezahlt wurden. Nun, um es kurz zu machen: erst im letzten Jahr kamen die sichtbaren Erfolge zurück. Gleich 3 Titel konnte man einheimsen und in der Champions League ist Marseille auch immer noch dabei - auch wenn mit Manchester United in der nächsten Runde ein grosser Brocken wartet.  


Leider liegt es für mich nicht wirklich drin, Woche für Woche nach Frankreich zu den Spielen zu fahren. Ein, zwei Partien live pro Jahr müssen da reichen, mit etwas Glück ist es bald wieder soweit!! Aber dank Teleclub/Canal +, kombiniert mit den Social Media-Plattformen wie Twitter oder Facebook, kommt auch in der eigenen Stube immer mal wieder eine Art Live-Feeling auf. Zudem lassen sich übers WWW Kontakte nach Marseille pflegen, was durchaus nützlich ist, wenn ich mal wieder inmitten des Commando Ultra ein Spiel schauen möchte... Nach Umfragen ist OM in Frankreich - mit grossem Abstand - immer noch der beliebteste Sportclub überhaupt, entsprechend findet man online viele gleichgesinnte Fans, die auch nicht Woche für Woche zu den Glücklichen gehören, die Einlass ins Vélo' gefunden haben. Überhaupt muss man, wenn man gaaaaaaanz ehrlich ist, ja zugeben, dass die OM-Fans entweder alles Masochisten sind oder dann unter manischen Depressionen leiden. Denn anders wäre dieses Wellental der Gefühle gar nicht auszuhalten. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Innerhalb weniger Tage oder gar Stunden ist in der Mittelmeer-Metropole alles möglich. Und weil heute nach der Final-Qualifikation einer der gute Tage ist ein kräftiges:
Allez l'OM, à la vie et à la mort!

17. Januar 2011

Auf Le Pen folgt Le Pen: Blond und gefährlich!

Marine Le Pen: Sie ist das neue Gesicht der französischen Ultra-Rechten. Und wie es scheint leider auch das bislang Beliebteste. 27 Prozent der Franzosen finden Marine Le Pen sympathisch oder attraktiv. Und das trotz oder vielleicht gerade wegen dem Feindbild der neuen Chefin des Front-National: der Muslime!


Seit gestern ist es also offiziell bekannt, Frankreichs Rechtsextreme haben eine neue An-Führerin: Marine Le Pen wurde zur ersten Vorsitzenden der FN ins Amt gehoben. Ihr Vater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen selbst verkündete das Ergebnis der "Mitgliederbefragung", wonach seine Tochter knapp 68 Prozent der Stimmen erhielt. Eine Wahl im eigentlichen Sinne gab es, wie alle Jahre zuvor, nicht... Nun hat sie es also geschafft, das blonde Gift aus Paris - immerhin wurde sie von ihrem Vater ja schon früh auf dieses Amt vorbereitet. Als Tochter eines Le Pens habe man es nicht leicht, erzählte sie einmal. Das habe ihr vielleicht einen eher kämpferischen Charakter im Umgang mit Menschen gegeben. Und wie es sich gehört, hat sie auch ihre drei eigenen Kinder schon mal auf ein hartes Leben im ultrarechten Umfeld vorbereitet: "Ich sage ihnen: 'Macht euch darauf gefasst, dass man euch unangenehme Fragen stellt.' Ich selbst mache das auch schon seit Jahrzehnten mit."

Ihre erste Rede als Parteichefin hielt die 42-Jährige darum ganz in der Tradition ihres berühmt berüchtigten Vaters. Marine Le Pen forderte ein „unabhängiges Frankreich ohne Euro, in das keine europäische Union reinregiert”. Brüssel sei für die Schliessung von Postämtern, Spitälern und Schulen verantwortlich, so die persönliche Logik der Juristin. Und weiter forderte sie ein Frankreich, das „wieder den Franzosen und nicht den Migranten gehört”. Schon ihr Vater brachte es mit solch markigen Sätzen zu zweifelhafter Bekeanntheit, als er zum Beispiel die Gaskammern der Nazis als "Detail der Geschichte" bezeichnet hat. Tochter Marine will mit diesen alten Geschichten zwar nichts zu tun haben, was aber nicht heisst, dass sie nicht aus dem gleich braunen Holz wie ihr fremdenfeindlicher Vater geschnitzt ist. Nur, sie hetzt zeigtgemässer und zwar gegen Muslime. Diese seien wie "eine Okkupation, die immer mehr Städte in Frankreich betrifft".

Wegen dieses Vergleichs mit der Nazi-Besatzung (Okkupation im 2. Weltkrieg) ermittelt inzwischen übrigens die Staatsanwaltschaft Lyon, Rassenhass wird ihr vorgeworfen. Ihrem Erfolg tut das indess keinen Abbruch - ganz im Gegenteil sogar! Auch nach dieser verbalen Entgleisung finden sie 27 Prozent der Franzosen sehr sympathisch, knapp 17 Prozent der Befragten würden sie sogar wählen. Marine Le Pen macht ihre Sache sehr geschickt, sie sagt zum Beispiel häufig: "Wir sind alle Opfer machtgieriger Politiker und korrupter Systeme" - und präsentiert sich selbst als die einzige Politikerin, die ehrlich ist und die unbequeme Wahrheit sagt. Christoph Blocher lässt grüssen... Sich selbst bezeichnet sie gern als zweite Stufe der "Rakete Le Pen" und "diese zweite Stufe muss jetzt losfliegen und den Front National, an die Macht bringen, damit wir unsere Ideen umsetzen können."

Das grosse Ziel von Marine Le Pen sind die französischen Präsidentschaftswahlen 2012. Sie wolle aus dem Front National ein mächtiges Werkzeug machen, um Frankreich zu regieren und an die Macht zu kommen. Dieses Werkzeug solle pragmatisch und effektiv sein. Angestrebt wird zudem - wenn auch nicht offziell - eine Kooperation mit Sarkozys konservativer UMP. Allerdings denke ich, ist Le Pens absolut antieuropäisches und rassistisches Programm kaum zu vereinbaren mit den durchschnittlichen Parteien Frankreichs.

Noch mehr Beispiele vom faschistischen Quatsch gefällig? Bitte sehr, hier weitere Auszüge aus ihrer Antrittsrede als Parteipräsidentin. Franzosen würden gezwungen, in Kantinen nach islamischen Gesetzen „Halal” zu essen und in Schwimmbädern Platz zu machen für muslimische Frauen. „Frankreich ist zu einem Kalifat geworden”, rief sie den überwiegend männlichen Parteimitgliedern zu. Die Lage des Landes sei ernst und traurig, obwohl das „französische Genie” auf der ganzen Welt bewundert würde. Kurz, es war eine Rede, die auch ihr greiser Vater, Jean-Marie Le Pen, hätte halten können.

So unglaublich es klingt, die Partei erlebt mit der 42jährigen Marine Le Pen eine für die Faschos schier unglaubliche Veränderung, die wohl weit über die Landesgrenzen hinaus bedeutsam und so gesehen ein strategisch cleverer Schachzug ist: Zum ersten Mal hat die europäische Rechtsextreme eine Frau an ihrer Spitze! Ein Faktor, der ihr nach Umfragen von französischen Meinungsforschern zu einem Erfolg bei der Präsidentschaftswahl 2012 verhelfen könnte. Bislang nämlich wurde die Front National mehrheitlich von Männern gewählt und dass der Trick mit der Frau klappt, beweist ja (leider) bereits das gr(h)ässliche Vorbild aus den USA: Sarah Palin.

Möglicherweise wird die Tochter ihren Vater in ihren politischen Erfolgen also bald überrunden. Aber seien wir ehrlich, über den Kurs der rechtsextremen Partei wird auch weiterhin ein Mann mitreden: Jean-Marie Le Pen wurde nämlich zum Ehrenvorsitzenden gewählt. „Ich vertraue meiner Tochter das Schicksal unserer Bewegung an, ihren Bestand, ihre Einheit, ihre Kampflust”, sagte er zu seinen Anhängern. Angeblich denkt der aber nicht im Traum daran, ihr die Führung der Partei wirklich zu überlassen, schreiben französische Zeitungen. Für sie gehen die Probleme darum jetzt erst richtig los. Dann sie wird merken, dass ihr der Papa permanent auf die Finger schaut und im Hintergrund die Fäden weiterhin zieht. Mit den Männern und Marine ist es eh so eine Sache. Von den Vätern ihrer drei Kinder ist sie geschieden. Ihre Gegner sagen darum nicht ohne Grund, es gäbe ja eh nur einen Mann an Marines Seite - und sei ihr Vater!

18. November 2010

Liebe, Hass, Verrat, Rache und Vergebung

Und alle diese Gefühle gibts in einer einzigen Geschichte vereint: "Der Graf von Monte Christo" and I'm lovin it! Ich bin ja nicht unbedingt der Leser von Fiktion, lieber habe ich wahre Geschichten oder Biografien. Ein Wunder darum, dass es mir der Roman von Alexandre Dumas so sehr angetan hat, dass ich sowohl das Buch, als auch das Hörbuch und natürlich die zahlreichen Filme verschlingt habe. Gut, das mag sicher daran liegen, dass Marseille in der Geschichte eine tragende Rolle spielt. Aber vielmehr finde ich, kenne ich keine andere Geschichte aus dieser Zeit, welche so knallhart aufzeigt, wie falsch Menschen sein können! Kurz zum Inhalt... 


Der junge Seemann Edmond Dantès kommt 1815 zurück nach Marseille und wird vom Reeder Morrel zum Kapitän befördert. Gerade als er sich mit dessen Tochter Mercédès verloben will, wird Edmond verhaftet. Durch einen Komplott, an dem mehrere im bestens bekannte Personen und sein bester Freund Fernand Mondego beteiligt sind, wird er als Napoleon-Sympathisant in den Kerker der Festungsinsel Château d'If verbannt. Dort wird er mit dem scheinbar verrückten Mithäftling Abbé Faria bekannt und verbringt 14 qualvolle Jahre im Kerker. Der Tod Farias ermöglicht Dantès' Flucht. Ausserdem wird er Farias Erbe: ein riesiges Vermögen, das auf der kleinen Mittelmeerinsel Monte Christo versteckt ist, erwartet ihn. In verschiedenen Masken führt er sich dank seines ungeheuren Reichtums in die Pariser Gesellschaft ein. Die meisten seiner Todfeinde haben einen sagenhaften Aufstieg hinter sich und sind dort wohl etabliert. Als Graf von Monte Christo beginnt er seinen Rachefeldzug...

Der Graf ist im Roman stark typologisiert, er sieht sich als Racheengel und wirkt darum auf viele LeserInnen oft arrogant und penetrant. Ich verstehe jede seiner Aktionen, überlegt man, dass Dantès innert kurzer Zeit sein ganzes Leben verloren hat - nur weil er seinen besten Freunden vertraut hat! Immer wieder tauchen neue Gestalten auf, bei denen man nie genau weiss, ob sie für oder gegen den Grafen sind: Caderousse, der Schneider, Albert de Morcerf, Andrea Cavalcanti oder Monsieur de Villefort. Monte Christo selber wird im zweiten Teil der Geschichte zu einem exzentrischen Reichen, mit orientalischen Accessoires wie Haschischträumen oder einer eingekauften Königstochter mit Namen Haidée. Der frischgeborene Graf fesselte die Gesellschaft, erhielt Aufmerksamkeit überall, wo er erschien. Zitat aus dem Buch:

"Es war nicht seine schwarze Kleidung, natürlich von tadellosem Schnitt, aber schlicht und schmucklos. Es war nicht seine weiße, unbestickte Weste, es war nicht seine Hose, die ein Bein der zartesten Form umspannte, was die Aufmerksamkeit fesselte, sondern es war sein ruhiges und reines Antlitz, es war sein durchdringender und melancholischer Blick, es war schließlich sein mit wundersamer Feinheit gezeichneter Mund, der so leicht den Ausdruck einer stolzen Verach tung annahm, was bewirkte, daß alle Augen auf ihn gerichtet waren. Es konnte schönere Männer geben, aber gewiß nicht bedeutungsvol lere, man gestatte uns diesen Ausdruck. Alles am Grafen wollte etwas aussagen und hatte seine Bedeutung. Denn die Gewohnheit nützlichen Denkens verlieh seinen Zügen, dem Ausdruck seines Gesichts und der geringfügigsten seiner Gebärden eine unvergleichliche Geschmeidigkeit und Festigkeit."

Was mich als Frankreich-Fan natürlich besonders fasziniert, der Roman ist nicht ohne gesellschaftskritische Brisanz. Schon der Hintergrundfaden, der durch die wechselnden Kaiser und Könige in Frankreich und die sich bieder anpassenden Oberschicht erzählt wird, enthält Nachdenkenswertes. Oder wie sagt man so schön, wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Womit wir dann schnurstracks bei den von mir - auch im Jahr 2010 immer noch genau so aktuellen - Windfahnen wären. Ein Beispiel gefällig, dass sich in 200 Jahren nicht wirklich etwas verändert hat?

"[Graf:] "Vielleicht wird Ihnen das, was ich Ihnen gleich sage, sonderbar scheinen, meine Herren Sozialisten, Progressisten, Humanisten, aber ich kümmere mich niemals um meinen Nächsten, ich versuche niemals, die Gesellschaft zu beschützen, die mich nicht beschützt, und, ich möchte sogar behaupten, die sich mit mir im allgemeinen nur beschäftigt, um mir zu schaden." [Villefort:] "Es ist bei uns nicht Sitte, sagte ich, daß die durch Reichtümer Bevorzugten ihre Zeit mit sozialen Gedankenspielereien verlieren, mit philosophischen Träumen, die höchstens dafür geschaffen sind, diejenigen zu trösten, denen das Schicksal die Güter der Erde versagt hat."

Klingt ein bisschen wie das Programm einiger Parteien oder Politiker. Aber zurück zur Geschichte: Der Graf tritt seinen mehr als berechtigten Rachefeldzug an. Die Frage, die sich stellt ist, wie soll und darf er Vergeltung nehmen? Seine Ex-Geliebte, die als Marquis de Moncerf verheiratete Mercédès stellt dem Grafen dazu ein paar Fragen.

"Und warum setzen Sie sich an die Stelle der Vorsehung?" rief Mercédès aus. "Warum erinnern Sie sich, wenn sie vergißt? Welchen Schaden fügte Ihnen Fernand Mondego zu?" Etwas später antwortet der Graf : "Was ich nach Ihnen am meisten liebte, Mercédès, war ich selbst, das heißt: meine Würde, das heißt: jene Kraft, die mich anderen Männern überlegen machte. Diese Kraft war mein Leben. Erst ab heute weiß ich es gewiß, daß ich der von Gott Gesandte bin!"

Wie zu Beginn erwähnt habe ich eine französische und eine deutsche Buchausgabe zu Hause, dazu zwei, oder drei DVD-Versionen des Films und ein Hörbuch. Dumas' Graf erschien 1845/46 und entwickelte sich zu einem der Klassiker der Abenteuerliteratur. Die Handlung basiert auf Jacques Peuchet (1758 – 1830), einem Archivar der Pariser Polizeipräfektur: "Le Diamant de la vengeance" und "Mémoires tirés des Archives de la Police de Paris und Collection des lois, ordonnances et réglements de police 1818 – 1819". Nach dem Buch kam die Geschichte auf die Bühne, mit einer Uraufführung in vier Teilen in verschiedenen Pariser Theatern um 1848. Frankreich darf sich rühmen, den genialsten Kolportageschriftsteller hervorgebracht zu haben: Alexander Dumas. Sein „Graf von Montechristo“ hat nicht nur tausend Nachahmer in allen Sprachen gefunden, er ist auch der direkte Vorläufer sämtlicher Abenteurerfilme, die heute laufen und in denen der Beschützer des Guten und Rächer des Bösen doch immer nur ein verkappter Graf von Montechristo ist. Wer die Geschichte um Liebe, Hass, Verrat, Rache und Vergebung nicht kennt, dem empfehle - aus zahlreichen Möglichkeiten - die folgenden Verfilmungen:

1953, mit Jean Marais in der Hauptrolle (F)
1961, mit Louis Jourdan in der Hauptrolle (F/I)
1974, mit Richard Chamberlain und Tony Curtis in den Hauptrollen (GB)
1998, (Fernsehfilm, 4-teilig), mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle (F)
2002, mit James Caviezel, Guy Pearce und Richard Harris in den Hauptrolle (USA)