Gestern Abend war Fussballzeit: Frankreich gegen Kroatien. Okay, zuerst wurde lecker in der Sonne gegrillt, dazu gabs dank "Radio Star Marseille" viel gute, laute Musik und Vorabinformationen zum späteren Spiel. Schon dabei wurde klar, einer wird keinen besonders gemütlichen Abend erleben: Franck Ribéry! Der Bayern Star sagte in einem Interview im Vorfeld der Partie: "Ich glaube, es wird Pfiffe geben. Es wird passieren, aber ich muss das akzeptieren und weitermachen." Und gestern Abend war es dann soweit, sein erster Auftritt vor heimischem Publikum seit zehn Monaten. Zwischen seinem letzten Länderspiel am 26. Mai 2010 in Lens gegen Costa Rica und dem Test gegen Kroatien gestern Abend lag der desaströse und äusserst peinliche WM-Auftritt in Südafrika. Wir erinnern uns, der Herr Ribery tat sich dort als Rebell hervor und er führte die Meuterei gegen den allseits unbeliebten Nationaltrainer Raymond Domenech mit an. Zu Recht, wie ich meine!
Diese Aktion fanden jedoch nicht alle ach so wichtigen Menschen toll. Und so wurde Scarface Franck aus dem Kreis der Bleus verstossen und durfte erst am Samstag beim 2:0-EM-Qualisieg gegen Luxemburg zurückkehren. Aber schon im beschaulichen Kleinststaat gab es einen Vorgeschmack, was ihn im Stade de France gegen Kroatien erwarten dürfte. Denn zahlreiche der mitgereisten Bleus-Fans pfiffen ihn und den ebenfalls begnadigten Patrice Evra aus. Peanuts, denn in St. Denis/Paris warteten gestern Abend fast 80.000 auf den Revolutionsführer. Sogar die französische Sportministerin und UEFA Boss Michel Platini gaben vor dem Spiel noch ihren Senf ab und forderten lebenslange Sperren für Ribéry und Evra. Ein perfektes Timing. Aber eben, man geht auch in der französischen (Sport-)Politik gerne mit dem Wind. Denn nach Meinung vieler Franzosen war die WM-Mannschaft " das schändlichste Team das die Grande Nation je hatte". Kein Wunder wurde im Internet und in den Medien vor dem gestrigen Spiel Stimmung gegen Ribéry gemacht. In einer Umfrage der Zeitung "Le Parisien" zeigten sich noch kurz vor dem Spiel 72 Prozent der Teilnehmer "schockiert" ob der Rückkehr der Meuterer.
Für Ribery war es gestern das 50. Länderspiel und darum "etwas ganz Besonderes", wie er versichert hat. Im Vorfeld tat er viel um die Wandlung vom Bad Guy zum Good Guy gegenüber der Öffentlichkeit glaubhaft zu machen. Ribéry hat sich brav entschuldigt, eigene Fehler eingestanden und sich mit dem Teamkollegen Yoann Gourcuff ausgesprochen, mit dem er bei der WM in Südafrika heftig aneinandergeraten war. Aber eben, Fussballfans vergessen nur ungern und nicht alle nehmen Ribéry die Umkehr ab. Einige Anhänger riefen sogar dazu auf, die Equipe Tricolore von Trainer Laurent Blanc so lange zu boykottieren, wie Ribéry und Evra dem Team angehören. Im Vorfeld der Partie wurde darum spekuliert, Blanc könnte sich deshalb genötigt sehen, Ribery für 90 Minuten auf die Bank zu setzen. Nix da, Ribéry kam in der zweiten Halbzeit - noch vor Gourcouff. Und natürlich gab es Pfiffe, immerhin gelten Fussballfans allgemein als Opportunisten. Und so gab man dem ehemaligen Liebling das, was er scheinbar verdient hat. Piffe der Mannschaftsaufstellung, massive Piffe bei der Einwechslung, Piffe bei jeder Ballberühung und Piffe zum Schluss der Partie. Okay, nicht alle Fans leiden am Lemming-Syndrom, kurz nach seiner Einwechslung waren auch zahlreichen "Ribéry, Ribéry"-Rufe zu hören. Mit zusätzlicher Spieldauer wurden diese Rufe lauter und lauter. Die Piffe weniger und ich hab mir die Frage gestellt, was wohl gewesen wäre, wenn FR das Siegtor geschossen hätte... Oder wie Evra es vor dem Spiel auf den Punkt brachte: "Die, die pfeifen, sind die ersten, die nach dem Spiel mein Trikot wollen." Mir kämen da spontan auch Beispiele aus Aarau oder der Schweizer Nati in den Sinn, aber darum gehts heute nicht.
Übrigens, wie man locker mit offenen Anfeindungen umgeht, hat gestern Abend Kroatiens Coach Slaven Bilic gezeigt. Dem werfen die Franzosen nämlich seit 13 Jahren vor, dass er den französischen Coach Laurent Blanc um die Teilnahme am WM-Finale 1998 gebracht hat. Blanc sah damals nach Provokationen von Bilic und einer Ellbogen-Attacke seinerseits die rote Karte. Noch vor dem Spiel sagte Bilic zu diesem Thema: "Wenn sie mich hassen wollen: Kein Problem!". Es gab dann zwar gestern Abend ein paar Pfiffe, im Vergleich zum Ribéry-Bashing jedoch harmlos. Blanc und Bilic machten dann auch gleich von Anfang an einen auf gute Freunde und umarmten sich noch vor der Partie. Und nach dem Spiel gab es sogar ein paar nette Worte, laut Blanc ist die Affäre von damals siet gestern offiziell aus der Welt geschafft. Tja, jeder hat eine zweite Chance verdient, das sollte auch für Franck Ribéry und Patrice Evra gelten.
PS1: Die neuen Marine-Shirts der Franzosen - gestern war Premiere - sind ja total genial. Leider derzeit nur noch in S und XXL lieferbar. Aber ich bleibe dran...
PS2: Oh, der hochgelobte und allseits ach so beliebte SC Bern ist gegen Kloten also doch noch ausgeschieden? Wie schade aber auch... obwohl, wer interessiert sich schon für Randsportarten wie Eishockey - mitten in der Fussballsaison, bei fast 20 Grad.
2 Kommentare:
Sehr schön, danke!
fussball für den pöbel, eishockey für die könige.
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