31. Juli 2015

Fronkreisch

So langsam neigt sich auch dieser Urlaub wieder dem Ende zu. Es bleiben schöne Erinnerungen, aber auch ein paar eher negative Gedanken. Mein erstes Mal (Frankreich) liegt ewig zurück, tiefste 80er Jahre. Paris - ohne Eltern und in einem Hotel, in dem es mehr Ungeziefer hatte als Gäste. Ein paar Jahre später war die Côte d'Azur dran, dann Marseille und seit dieser Zeit bin ich immer wieder zurückgekehrt in meine "2. Heimat". Habe im ganzen Land viele schöne und spannende Ecken gesehen, egal ob beim Surfen an der Atlantikküste, die heftige Kriegsgeschichte der Normandie, die Berge der Pyrenäen, die Provence, die Täler der Flüsse, Grossstädte, die Camargue und so weiter. Dabei war mir seit jeher der Kontakt zu den Menschen wichtig. Egal welcher Herkunft oder welcher Religion: Franzosen, Einwanderer, Juden, Christen, Muslime, Schwarze, Weisse, Junge oder ganz alte Leute. Dank meinen Französischkenntnissen fielen mir Gespräche meist leicht. So auch in diesem Jahr. Egal ob Politik, Sport, Lebensweisheiten eines 80jährigen Witwers, Essen oder dumme Sprüche - es gab viele unvergessliche Eindrücke! 


Trotzdem, in diesem Jahr war etwas anders im kleinen Dorf (11'000 Einwohner) St. Cyr sur Mer. Die Menschen wirkten gestresster, weniger entspannt, teils unzufrieden oder unsicher. Und was besonders auffiel hier "auf dem Land" (30 Autominuten von Marseille), die Durchmischung der Menschen, der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, fehlt, das Misstrauen gegenüber dem Fremden wächst. Da warten das arabische und das asiatische Restaurant Abend für Abend vergeblich auf Gäste - während einheimische Lokale stets ausgebucht sind. Komischerweise bieten all diese Restaurants dann aber die gleichen Speisen an: Moules, Steaks, Fischsuppe, Ente, Crêpes und Pizza. Laut Umfragen die Lieblingsspeisen der Franzosen. Dazu gibts überall Pommes Frites. Traditionelle, gute, französische Küche? Fehlanzeige. Klar, es ist ein Ferienort, der aber zu sörind 90 Prozent von Franzosen bevölkert wird. Hier und da hört man zwar Deutsch, Holländisch oder Englisch - was aber selten ist. Man ist hier gerne unter sich, die Küsschen-Gesellschaft kommt von der Côte d'Azur gerne und immer öfter rüber, in den günstigeren Vorort von Marseille und Toulon. Fast alle Wohnungen und Häuser gehören Städtern, welche zum Weekend und für die Ferien herkommen. Und der Campingplatz leicht ausserhalb lockt die an, welche sich die teuren Immobilien nicht leisten können. Aber auch der ändert nichts daran, dass ich in zwei Wochen genau eine Gruppe schwarzer Jungs gesehen habe oder Jugendliche mit maghrebinischem Hintergrund alle ausschliesslich untereinander verkehren. Und das liegt nicht etwa daran, dass sie keine Pommes mögen. Frankreich schafft es vielmehr, Gegenden zu generieren, "wo man unter sich ist". Das erklärte mir auch der Barkeeper in der letzten verbliebenen Dorfkneipe, der übrigens PSG Fan ist - wahrlich mutig hier unten.  In seiner Bar, kein dunkles Gesicht. Auf die Frage, welche Partei man hier in der Gemeinde so wählen würde, gab es keine Antwort. Ein älterer Herr ergänzte bloss, dass man ja nicht mehr sicher sei auf der Strasse und das liege an den vielen jungen Arabern. Nicht mehr sicher? Okay, es sind hier viel mehr Polizisten patroulliert als noch vor einem Jahr, aber unsicher? Hier? Nein! Ich habe zum Beispiel meine Tasche in einer Kneipe liegen lassen, der Chef hat sie aufgehoben und ich konnte sie später abholen. Andernorts hat man sich verrechnet und den, von mir nicht einmal bemerkten, Fehler gleich zugegeben und mit einem Schnaps entschuldigt. Überhaupt wird Freundlichkeit gross geschrieben und das obwohl das Personal nicht selten an 7 Tagen rund 12 Stunden im Einsatz ist. Mund aufreissen trauen sich bei einer Arbeitslosenquote von gut 25 % nur die wenigsten. Denn schliesslich ist der Druck auch für die Wirte gross, innerhalb eines Jahres sind alleine an der Meerpromenade gleich mehrere Restaurants pleite gegangen oder haben den Besitzer gewechselt. Ein paar Lokale stehen sogar immer noch leer und das in der besten Zeit des Jahres. 
Während in Städten wie Marseille Begriffe wie Ghettoisierung oder Gentrifizierung die Runde machen, ist man hier zu 100 % auf den Tourismus angewiesen und will wachsen. Negative Schlagzeilen, Gewalt, schlechte Tripadvisor-Bewertungen oder zu viele Migranten sind nicht geschäftsfördernd. Weil eben, die Klientel kommt nicht selten aus Toulon oder Marseille und will hier abschalten vom Alltag und unter sich sein. So gesehen haben vermutlich alle die Kritiker recht, die sagen, dass Frankreich als traditionelles Einwandererland mit seinem Projekt der Integration gescheitert ist. Zu gross sind die Gräben in den letzten Jahren geworden und jeder weitere terroristische Anschlag fördert das Misstrauen zusätzlich. Entsprechend bin ich wirklich gespannt, in welche Richtung der Weg Frankreichs geht, erst recht nachdem Le Pens Front National immer stärker wird und in Grossstädten zum Beispiel Bandenkriege in den Banlieus zum Alltag gehören. Die Schere öffnet sich immer weiter. Am eigenen Leib zu erleben in einem kleinen, süssen, harmlosen Badeort am Mittelmeer. 

Und ja, ich komme wieder! 
















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