Wird am 1. August auf dem Rütli gefeiert, oder wird am 1. August auf dem Rütli nicht gefeiert? Diese Frage beschäftigt - inzwischen seit mehreren Wochen - die Schweizer Medienlandschaft. So langsam aber sicher frage ich mich, ob die Frage neben den Medien überhaupt noch jemanden interessiert. Die Parteien vielleicht? Schliesslich sind wir ja in einem Wahljahr.
Was bisher geschah: Bundesrätin Calmy-Rey möchte am Schweizer Nationalfeiertag auf dem Rütli (eine unscheinbare Wiese oberhalb des Vierwaldstättersees und ohne Friedrich Schiller wohl gänzlich unbekannt) eine Rede halten. Wegen des inzwischen zur Tradition gewordenen Aufmarsches der rechten Szene und der damit verbundenen Kosten für die Sicherheit, sind die betroffenen Kantone rund um den Hügel nicht mehr bereit, Schiffe Richtung Rütli ablegen zu lassen. Und ohne Schiffe, kommt man da erst mal nicht hin. Der Bundesrat entschieden, sich ebenfalls nicht am Aufwand zu beteiligen, der Kanton Uri will die Wiese sperren und ein Sponsoring wird aus ethischen Gründen ebenfalls abgelehnt.
Inzwischen hat sich die ganze Planung - sofern es überhaupt eine gab - zu einer Farce entwickelt, bei welcher die Fronten zwar verhärtet, aber nur schwer durchschaubar sind. Da lässt zum Beispiel der Präsident der Schweizerischen Volkspartei SVP, Ueli Maurer, verlauten, das Rütli sei bloß "eine Wiese mit Kuhdreck". Eine Aussage die mich verwundert, ist die SVP sonst eher für ihre rechtsbürgerliche Politik und ihren damit verbundenen Nationalstolz bekannt.
Auf der anderen Seite die sozialdemokratische Bundesrätin Calmy-Rey ("Das Rütli ist ein Symbol der Schweiz"), die urplötzlich mit dieser geschichtsträchtigen Stätte verbunden scheint, als würde sie jeden Abend vor dem zu Bett gehen den Schweizer Psalm singen und Wilhelm Tell in ihre Gebete einbeziehen.
Verkehrte Welt? Ja, ganz bestimmt. Wieder einmal scheint bestätigt, dass Seldwyla und Schilda in Mitten der Schweiz liegen müssen. Eines scheint klar, so wie in den vergangenen Jahren kann die 1. August-Feier auf dem Rütli nicht mehr durchgeführt werden. Es kann nicht sein, dass der Zutritt zum Berg nur nach einer Leibesvisitation möglich ist, dass Gruppen von Rechtsextremen lauthals die Redner unterbrechen und es im Anschluss an die Veranstaltung zu Ausschreitungen zwischen Krawallbrüdern aus verschiedensten politischen Lagern kommt. Das alles natürlich vor laufenden Kameras der TV-Stationen dieser Welt. Eine Lösung muss also her.
Nur ist inzwischen etwas passiert, das nie hätte passieren dürfen. Es geht bei dem ganzen "Theater" (Zitat des SVP-Bundesrats Chr. Blocher) nicht mehr um die Bundesfeier an sich, sondern vielmehr darum, dass in diesem Jahr national gewählt wird. Die Sozialdemokraten sehen im Kampf ums Rütli eine Chance, ihr Image in Sachen Landestreue etwas aufzupolieren. Dagegen steht die bürgerlich-rechte Seite, welche den finanziellen Aufwand (2 Mio. Schweizer Franken, rund 1,2 Mio. Euro) anprangert und so sich so ein paar Stimmen aus dem Lager der Sparsamen sichern kann.
Ich persönlich wäre für eine Durchführung der Feier. Wenn sich Sponsoren finden lassen, dann sollte man auf dieses Geld bestimmt nicht verzichten. Die Feier auf dem Rütli hat in dieser Art noch keine besonders lange Tradition. Erst seit den 90er Jahren gibt es den Anlass in dieser Form. Zuvor lag die Wiese brach und kam höchstens mal als Ziel einer Schulreise zu Ehren. Anders als in Frankreich, Deutschland oder Holland (Länder wo ich selber schon mal mit gefeiert habe) gibt es in der Schweiz eine eigene, spezielle Tradition, den Nationalfeiertag zu begehen. Hauptgrund dafür dürfte sein, dass der 1. August erst seit 1994 ein offizieller Feiertag und damit arbeitsfrei ist. Da wird also im Normalfall mit den Nachbarn oder der Familie gegrillt, ein grosses Feuer gemacht und es wird Feuerwerk gezündet. Die Gemeinden selber führen meist einen kleinen Apéro für die Bevölkerung durch. Im TV gibts ne Ansprache. Das wars, schliesslich ist am 2. August wieder arbeiten angesagt.
Was ist also zu tun? Eine patente Lösung habe ich auch nicht zu bieten. Redner verschiedenster politischer Couleur aufbieten? Ganz auf Ansprachen verzichten? Nur die Musik sprechen lassen? Sagt man die Feier auf dem Rütli ganz ab, ist man meiner Meinung nach vor den rechten Störenfriede in die Knie gegangen. Kurzer Einschub, überhaupt hab ich bis heute nicht wirklich kapiert, warum - nennen wir sie mal - national orientierte Jugendliche die Feier ihres Heimatlandes - auf welches sie ja eben entsprechend stolz sind - sabotieren.... aber das ist ein anderes Thema, schliesslich sorgen ja auch die Linksautonomen Jahr für Jahr am 1. Mai für Krawalle.
Was mich an der ganzen Entwicklung nervt ist, dass es nicht mehr um die Sache an sich geht und sich die Beteiligten inzwischen so weit verstrickt haben, als dass sie nicht mehr nachgeben können ohne ihr Gesicht zu verlieren. Es werden lediglich private und parteipolitische Interessen gewahrt, während die Zeitspanne bis zum 1. August mit jedem Tag kleiner wird. Heute sind laut Medienberichten weitere Gespräche geplant, welche dann bis zum Abend hin Klarheit bringen sollen, wie und ob es weiter geht im Fall Rütli...
PS: Von wegen Theater, war da nicht mal was mit der "Rütli-Schule" in Berlin-Neukölln....