Bis heute stelle ich mir immer mal wieder die Frage, warum mir sein Tod so nahe ging. Unter dem Strich hat sich ein Junkie, den ich nicht persönliche gekannt habe, das Leben genommen. Punkt. Ich frage mich auch, warum ich mir - und ich bin ein totaler Schlauch wenn es darum geht, dass ich mir Daten merken sollte - weiss, dass er am 5. April die Erde verlassen hat. Ich war bzw. bin bis heute kein übermässiger Nirvana-Fan. Ich mag die Songs, liebe ein paar Texte, hatte früher mal ein T-Shirt und ein Poster. Das wars. Auszug aus seinem Abschiedsbrief:
Rückblende. Im Frühjahr 94 war gerade dabei, nach Frankreich überzusiedeln. Der Umzug war vollzogen, den Job in meiner neuen Heimat hatte ich bereits angetreten. Aber da war noch dieses verfluchte Konzert-Ticket. Ausgestellt auf den 19. Februar 1994. Nirvana live in der Eishalle in Neuenburg. Da ich zu diesem Zeitpunkt aber bereits rund 800 Kilometer entfernt meine Zelte aufgeschlagen hatte, war es mir unmöglich dieses Konzert zu besuchen. Na gut, hab ich mir gedacht, die Band wird ja bestimmt auch noch weitere Konzerte geben. Und tatsächlich war die Europa-Tour 1994 noch bis in den frühen Sommer hinein geplant.
Wie wir inzwischen alle wissen, wurden diese Pläne von Cobains Selbstmord gekreuzt. Der Aufritt in Neuenburg war das letzte Gastspiel der Band in der Schweiz. Modena, San Marino, Rom, Mailand, Ljubliana und München. Danach war Schluss.
Doch es war mehr als dieses verpasste Konzert. Cobain strahlte etwas aus, das mich in der Zeit vor seinem Tod beeindruckt hat. Trotz massivem kommerziellem Erfolg blieb er sich selber, wollte sich nicht kaufen lassen. Ein Umgang der ihm zum Verhängnis wurde. Drogen, Alkohol, Depression, Medikamente. 1992 heiratete er die Stripperin Courtney Love, kurze Zeit später kommt Tochter Francis Bean zur Welt. Sowohl Cobain selber, als auch seine Frau nahmen zu dieser Zeit Heroin. Ein erster Selbstmordversuch von Kurt scheitert, er überlebt einen Cocktail aus 50 Tabletten und Champagner. Cobain selber gab danach an, die Schmerzmittel aufgrund von Magenproblemen eingenommen zu haben. Seit seiner Kindheit litt er an dieser Krankheit, die er selber "Cobain's Disease" nannte.
Aufgrund dieser Krankheit mussten auch zahlreiche Konzerte verschoben und die Tournee abgebrochen werden. Cobain verbrachte immer mehr Zeit zu Hause. Im Rausch. Der Waffennarr setzte sich schliesslich am 5. April 94 mit seiner Schrottflinte ein Ende. Laut Polizeiberichten deutete nur noch das Gebiss auf seine Identität hin. Bis heute gibt es Theorien, wonach Cobain das Opfer eines Mörders geworden sei. Für mich Humbug. Zu eindeutig all die Hinweise in Songtexten, Interviews und Verhaltensmustern.
Es liegt nicht an mir, über die Gründe dieses Selbstmordes zu spekulieren. Es liegt vorallem nicht an mir, ihn zu werten (falls sich das überhaupt jemand anmassen kann). Ich habe bis heute, 13 Jahre später, nicht herausgefunden, was es ausgemacht hat, dass es mir damals vorgekommen ist, als hätte mich ein Freund verlassen. Cobain verweigerte sich dem Kommerz und stand wohl für etwas, dass mir bis heute viel bedeutet: Freiheit! Wer in unserer Zeit jedoch die Freiheit noch leben will, der muss viele Abstriche in Kauf nehmen und ist einem immensen (Leistungs-) Druck ausgesetzt. An diesem Druck ist Cobain vermutlich letztendlich gescheitert. Plattenfirmen, Manager, Fans, Familie... die Anforderungen waren zu gross, für einen, der einst auszog um einfach mit ein paar Freunden Musik zu machen.
Jahre später habe ich Cobains ehemaligen Bandkollegen, den Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl getroffen. Meine Erwartungen waren gross. Das Gespräch kurz und enttäuschend. Trotz Nirvana-Vergangenheit fehlte die Aura, die Ausstrahlung. Es ging mir also in dieser ganzen Geschichte weniger um die Band Nirvana, als vielmehr um Kurt Cobain, der mich als Person fasziniert hat. Ein Umstand, der sich bis zum heutigen Tag nicht verändert hat. Typen wie Rio Reiser, Robbie Williams, Dave Gahan oder Pete Doherty sind mir 1000 mal lieber, als all die anderen Waschlappen, die in die Hot-Rotationen der Radiostationen laufen.