Alles wird gut, Björk ist wieder da! Satte 3 Jahre musste sich der Fan seit ihrem letzten Album "
Medulla" (die Experimental-CD "Drawing Restraint 9" zähl ich jetzt mal nicht mit) gedulden, bis er wieder in den Genuss der markanten Stimme aus Island kommen durfte. Aber das warten hat sich, zumindest was die meisten der Songs auf dem neuen Album "
Volta" angeht , gelohnt. Die Frau, die von sich selber sagt, Religion sei sehr ermüdend und sie möchte nicht Atheistin genannt werden, weil das ja auch eine Art von Religiosität sei und die Frau, die von Wikipedia als Exzentrikerin betitelt wird, vermag ihre Anhänger auch mit ihrem sechsten Studio-Album wieder überraschen.
Aber für Björk gilt wohl, entweder man mag sie oder man hasst sie. Was bestimmt nicht passieren kann ist, dass man die zierliche Frau aus dem hohen Norden nicht wahr nimmt. Ihre Alben und die entsprechenden Single-Auskopplungen sorgen meist für mediales Aufsehen. Die Musik kommt dann auch auf dem aktuellen Album zum Teil sehr schräg daher und das Spektrum ihrer Stimme wird nicht selten bis an die Grenze ausgelotet. Aber eben, auch Frau
Gudmundsdóttir hat ihre Hörner wie es scheint etwas abgestossen und entsprechend kommt das ganze Album runder daher als viele seiner Vorgänger.
Als Opener präsentiert uns die 42jährige gleich mal kurz einen 6 Minuten Song. "
Earth Intruders", das übrigens auch als Vorabsingle released wurde. Das Lied nimmt schnell einmal Tempo auf und überrascht dann durch verschiedene akkustische Wendungen. Nicht zuletzt, weil am Schluss für längere Zeit irgendwelche Schiffs- und Nebelhörner zu hören sind. Ideal zum Entspannen, man fühlt sich gleich in einen skandinavischen Fischerhafen versetzt.
Der Song "
Wanderlust" ist im Gegensatz zum ersten Track der CD bereits richtig melodiös und erfreut mit der grossartigen Textzeile "I feel at home whenever/the unknown surrounds me", bei welcher ich mir - im Bezug aufs Wandern durch einen dunklen Wald - ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. In Hintergrund sind übrigens immer ein paar Waldhörner zu hören. Ein herrlicher Song! Die volle Ladung Blasinstrumente gibts dann im dritten Lied auf die Ohren "The Dull Flame of Desire", welches Björk im Duett Anthony (von
Anthony and the Johnsons) zum Besten gibt. Da ein Duett zu zweit aber langweilig ist, sampelt Björk zu den zwei Stimmen gleich noch mal ein paar Björkstimmen rein. Was dann zwischendurch den Effekt eines kleinen Chors erzeugt. Hübsch gemacht. "
Innocence" überspring ich gleich, da werkelt der Timbland. Zu ihm, dem derzeitigen Weltherrscher der Musikproduktion, später mehr...
"I See Who You Are" ist ein bemerkenswerter Song. Erstens weil ich in einer CD-Kritik den folgenden Satz gelesen habe, (Zitat) "ganz verschwunden sind die merkwürdig surrealen, asiatischen Klänge" und dieser Song einem in den ersten Sekunden bereits das Gefühl vermittelt, man bekäme gleich ne Platte Sushi serviert. Aber eben, Musikjournalisten sind auch nur
Menschen. Und zweitens vereint Björk auf diesem Titel ihre halbe Familie, so eine Art Hausmusik. Immerhin hat sie ein 10köpfiges Blasorchester organisiert und rein von den Namen der Orchestermitglieder her, sind da alle irgendwie miteinander verwandt. Ok, Island ist aber auch sehr klein.
Die Bläser durften dann auch gleich bleiben und bei "Vertebrae By Vertebrae" mittun. Einem - in meinen Augen - typischen Björk Song. Ihre Stimme variert, sie schnauft, zischt, stöhnt, schreit... Körper- und Stimmeinsatz bis zur Ekstase. Björk wie ich sie liebe! Gleiches lässt sich über "Pneumonia" (
Lungenentzündung?) sagen, welches noch etwas ruhiger daher kommt. Würde die Radiolandschaft nicht nur von billig produziertem Mainstream regiert, könnten mich gerade diese beiden Song durchaus erfreuen, wenn sie mitten im Tag mal durch den Äther kämen. Aber eben... das ist ein anderes Thema.
Auf "Hope" trommelt der malische Perkussionist
Toumani Diabaté mit, der Text liegt durchaus schwer im Magen. Björk stellt im Zusammenhang mit einem Selbstmordattentäter die Frage nach dem Bösen. Gegen Ende des Songs gibts dann noch einmal die Schiffshörner vom Anfang der CD.
Für Kopfschütteln hat bei mir "
Declare Independence" gesorgt. Der klingt wie eine Mischung aus Raketenstart und fehlgeleitetem Stromschlag. Gefällt mir nicht wirklich. Das liegt aber vermutlich daran, dass der marktführende Mister
Timbaland als Produzent (Justin Timberlake, Pussycat Dolls, Jennifer Lopez) seine Finger im Spiel hatte und ich mit dem Typen schlicht und einfach nichts anfangen kann. Da waren mir dann Herren wie Goldie oder Tricky, die früher hinter den Mischknöpfen sassen, wesentlich lieber.
Zum Schluss gibts mit "My Juvenile" noch einen eher spartanischer Titel. Wieder dieses asiatische Harfeninstrument und wieder die Stimme von Anthony Hegarty im Duell mit Björk. Überhaupt verstecken sich gleich mehrere Gäste auf "Volta", meist aber nur bemerkt durch einen Eintrag im Booklet: der Elektronik Pionier Mark Bell von
LFO, Chris Corsano (der u.a. mit Sonic Youth zusammen gearbeitet hat) und Brian Chippendale von
Lightning Bolt.
Alles in allem präsentiert sich Björk mit ihrem aktuellen Album erwachsner als auch schon. Mit wenigen Ausnahmen sind die Songs nicht mehr so wahnsinnig experimentell wie frühere Werke. Ein Umstand der ihr durchaus neue Fans bescheren dürfte. Allerdings wirkt das Album trotzdem - oder gerade deswegen - nie langweilig. Eines ist zudem gleich geblieben, wer die manchmal theatralisch wirkenden Gesangseinlagen von Frau Gudmundsdóttir schon früher nicht gemocht hat, der dürfte auch mit "Volta" nicht warm werden. Von mir gibts jedenfalls 9 von 10 Punkten. Obwohl ich eigentlich auch 10 geben könnte, wenn ich das Optische (ja, ich steh auf sie!) noch dazu nehme. Aber das wäre dann doch ziemlich unprofessionell von mir...
K0nzert: 25. Juli 2007,
Paléo Festival Nyon