Nein, natürlich nicht. Aber wer sich in diesem Moment den Cupfinal anschaut, der weiss vielleicht, was ich damit meine. Gerne erinnere ich mich in diesen Minuten an den Pfingstmontag 1985 zurück, Aarau leer war und die Bewohnerinnen und Bewohner der Kantonshauptstadt allesamt nach Bern gepilgert sind. An diesem Tag fand im altehrwürdigen Berner Wankdorf-Stadion
der Cupfinal (in Deutschland als das Pokalfinale bekannt) zwischen unserem FC Aarau und
Neuchâtel Xamax statt. Und ja, früher fanden diese Finalspiele des Schweizer
Cups traditionellerweise am Pfingstmontag statt, über Jahre. Ein
Datum, das sich jeder merken konnte und an welchen auch jeder Zeit hatte. Nicht so wie heute, Ostermontag. Alle sind irgendwie in den Kurzferien oder zumindest stehen sie in irgendeinem im Stau, manche sind gar am arbeiten und wieder andere haben keine Lust, diesen FCB schon wieder im Cupfinal zu sehen. Entsprechend ist das Stadion in Bern heute halbleer, eines Cupfinals alles andere als würdig. Und überhaupt, die Endspiele fanden ja sogar schon in Basel statt. Kein Wunder, hatten doch die die Berner eines der geschichtsträchtigsten Stadien Europas ("Das Wunder von Bern") dem
Erdboden gleichgemacht und liessen mit den Neubau auf sich warten. Das neue Stadion ist in meinen Augen ein unpersönlicher Kasten, wie die meisten dieser neuen Arenen.
Aber eben, früher war, zumindest was den Cupfinal angeht, wirklich alles besser. Wers nicht glaubt,
hier gibt es eine Zusammenfassung dieses Pfingstmontags. Wir waren in Bern allesamt mit selbstgebastelten Transparenten, Fahnen, Kuhglocken und ähnlichem Material unterwegs. Die Transparente natürlich selber bemalt und gebastelt, aus massivem Holz. Und niemandem wäre es in den Sinn gekommen, mit diesen Stangen einen Xamax-Fan zu attackieren oder mit der Kuhglocke eine Schaufensterscheibe einzuschlagen. So gab es auch kein Tränengas und Wasserwerfer mussten auch nicht eingesetzt werden. Ganz im Gegenteil, vor dem Anpiff wurde mit den Fans aus dem Kanton Neuenburg noch ein Glas Weisswein getrunken und auf ein gutes Spiel angestossen. Ein Spiel welches schliesslich durch Walter Iselins Tor in die Geschichte einging. Und nach dem Spiel? Gab es auch keine Krawalle, beide Fanlager gingen zu Fuss in Richtung Bahnhof - wir am feiern, die Romands unterm Strich nicht weniger gut gelaunt. Im Extrazug fuhren wir schliesslich zurück nach Aarau, wo ein schöner Empfang auf dem Programm stand. Alles in allem ein wunderbarer Tag, bei herrlichem Wetter 1985 im schönen Wankdorf zu Bern.
Heute steht es zur Pause 0 zu 0. Die Stimmung auf den Rängen ist mies, das Stadion halb leer, vor dem Spiel gab es in der Berner Innenstadt Plündereien, viel Sachschaden, Gewalt und unschöne Szenen. Fazit: der Schweizer Cup ist tot! Vorbei die Zeiten, in denen der FC Sion die Szenerie beherrscht hatte und über Jahre den Pokal immer und immer wieder gewann. Vorbei die Zeiten, in denen Underdogs für Überraschungen sorgen konnten und entsprechend das ganze Dorf oder die halbe Stadt ihre Mannschaft nach Bern begleitet haben. Und vorbei auch die Zeiten, in denen die ganze Familie zum Cupfinal gefahren ist, friedlich vom Opa bis zum Enkel - die Zuschauer haben zu viel Angst und Respekt vor den maskierten Chaoten und ihren unsportlichen Taten. Und nein, ich bin weder gegen friedliche Fanmärsche, noch gegen (kontrolliert abgefeuerte!) Pyro. Aber warum muss man sich dabei vermummen oder auf unbeteiligte Fans losgehen? Das hat in meinen Augen nichts mit Fussball zu tun. Und auch der Ausdruck "Ultra" ist an dieser Stelle fehl am Platz! Aber ich glaube, dass ich das nach all den Jahren als Fan durchaus beurteilen kann. Meine FC Aarau-Fan-Zwischenbilanz erfreut mein Herz, an einem Tag wie heute erst recht. Aufstieg, mit dabei. Cupfinal, mit dabei. Auswärtsfahrten in fast alle Schweizer Stadien (egal ob Basel, Baulmes oder Bellenz), mit dabei. Meistertitel, mit dabei. Heisse Derbies gegen Luzern oder St. Gallen, mit dabei. Champions League in Mailand, mit dabei. Beinahe-Konkurs, mit dabei. Vier Jahre im FCA-Vorstand, mit dabei. Abstieg, mit dabei. Wiederaufstieg, mit dabei. Und mit diesem bescheidenen Palmares gehöre ich nicht einmal zum harten Kern, da gibt es Jungs, die waren auf Zypern oder sonst wo mit unserem Verein. Aber es geht dabei auch nicht um einen Schwanzvergleich, vielmehr zeigt es mir auf, wie verbunden ich mit dem Verein bin und wie sehr es mich freuen würde, auch mal wieder einen Cupfinal mit dem FC Aarau erleben zu dürfen. Und ja, wir würden das Stade de Suisse aber sowas von füllen, bis auf den letzten Platz!
Aber eben, in Zeiten wo russische Oligarche und arabische Scheichs den Fussball beherrschen, mit Ausnahme vom FC Bayern oder auch Marseille, die aber gegen PSG und Co. keine Chance mehr haben, in diesen Zeiten hat ein Kleinclub wie der FC Aarau schier keine Chance mehr auf einen solchen Erfolg. Und wenn denn, irgendwann dereinst, das neue Stadion in Aarau steht, dann gehören wir auch irgendwie zu diesen unpersönlichen Fussballfirmen, welche ihre Heimspiele in kalten Betonbunkern austragen. Okay, das mag, dank neuen finanziellen Möglichkeiten, der Weg zum Erfolg sein, aber das Herz geht doch irgendwie verloren.
So, die zweite Hälfte geht los. So richtig dabei bin ich ja nicht. Erst recht, weil "unser Junge" Loris Benito, nicht mitspielen darf. So können die beiden Teams von mir aus auch 120 Minuten spielen und dann noch 30 Elfmeter schiessen. Irgendeiner wird irgendwann wohl gewinnen und die Fans des Verlierers im Gegenzug die Berner Altstadt in Schutt und Asche legen - nachdem sie das Spielfeld gestürmt und die Pokalübergabe verhindert haben.
In diesem Sinne: Walter Iselin Fussballgott!