Es gibt viele Filme über die Verbrechen der Nazis. Sehr viele. Ernst gemeinte, solche wie der von Tarantino und blutleere, in denen es nur um die Action geht. Doch nur wenige beleuchten die Rolle der Franzosen in dieser düsteren Epoche. "Die Kinder von Paris" tut es.
In Frankreich ist die Auseinandersetzung mit der eigenen politischen Schuld des 20. Jahrhunderts lange tabu geblieben. Den selbstkritischen Blick auf die Verstrickungen in den Algerienkrieg hat die Grande Nation ebenso Jahrzehnte herausgezögert wie jenen auf die Kollaboration mit den Nazis. Vor allem das vorauseilende Mittun bei der Judenverfolgung – von den Massenverhaftungen bis in die Gefangenenlager der französischen Miliz – wurde 50 Jahre lang totgeschwiegen. Erst Jacques Chirac hielt am 16. Juli 1995, dem 53. Jahrestag jenes Ereignisses, das "La rafle du Vel’d’Hiv" die Geschichte eingegangen ist, eine Rede und entschuldigte sich für die Gräueltaten. Diese Stunden der Finsternis, die mit der Massenverhaftung von knapp 14.000 Pariser Juden begannen und zur Internierung von 7000 Juden im Winter-Velodrom am Eiffelturm führten, dauerten fünf Tage. So lange wurden die jüdischen Familien dort ohne Nahrung und medizinische Versorgung interniert, bevor sie in Lager ausserhalb von Paris gebracht und später in Auschwitz ermordet wurden. Heute ist das Vélodrome d’Hiver längst abgerissen; ein schlichtes Mahnmal an der Seine erinnert an die Razzia, mit der 9000 französische Polizisten den, so Chirac, "kriminellen Wahn der Besatzer" eifrig exekutierten.
Der Film erinnert in Aufwand und Machart an Steven Spielbergs Schindlers List – nur dass den französischen Juden kein barmherziger Retter wie der Fabrikant Oskar Schindler zur Seite stand. Tatsächlich sind fast alle der 75.000 an die Deutschen ausgelieferten französischen Juden in den Konzentrationslagern umgekommen. Zudem endet der Film nicht in Auschwitz, sondern im Lager Beaune-la-Rolande südlich von Paris, wo die Familien brutal getrennt werden, bevor der Transport in Güterzügen nach Auschwitz beginnt. Für die Vergegenwärtigung des Schreckens wurden das Velodrom und das Lager in Ungarn aufwendig rekonstruiert und Tausende von Statisten verpflichtet.
Die Handlung wird im Wesentlichen von der aus Quellen überlieferten Figur einer christlichen Krankenschwester (Mélanie Laurent) getragen, die einen jüdischen Arzt (Jean Reno) und die Familien ins Lager begleitete. Zudem blickt der Film mit den Augen des elfjährigen Joseph (Hugo Leverdez) auf die mit Wucht einstürzenden Ereignisse – von der Razzia am Montmartre bis zum Leben im Lager. Der heute 80-jährige Joseph Weismann ist einer von drei Zeugen, den Regisseurin Roselyne Bosch, früher Reporterin beim Nachrichtenmagazin "Le Point", in mühevollen Recherchen ausfindig machte. Die bei der Razzia inhaftierte Anna Traube kam noch aus dem Velodrom frei, Joseph Weismann konnte aus Beaune-la-Rolande fliehen. Der dritte Zeuge ist ein Feuerwehrmann, der mit dafür sorgte, dass die eingeschlossenen Juden im Velodrom wenigstens Wasser aus Feuerwehrschläuchen bekamen.
Für französische Augen besonders schockierend: Bosch zeigt die extreme Gewalt der Milizionäre gegen Frauen – auch dafür hat sie Zeugenaussagen gesammelt –, während die deutschen Besatzer meist im Hintergrund agieren. Aber es gibt auch die Feuerwehrleute, die ein Erbarmen haben, die Identifikationsfiguren der Krankenschwester und des Arztes, und es gibt die vielen nichtjüdischen Franzosen, die Juden vor dem Zugriff der Milizionäre versteckten. Auch das ist historisch überliefert, und es belegt eindrucksvoll, dass die Franzosen anders als die Deutschen keine Täternation, sondern eine Opfer- und dann auch Mittäternation waren. Nach dem Willen der Deutschen sollten an jenem 16. Juli 1942 im Rahmen der Operation Frühlingswind 28000 Juden inhaftiert werden. Nach zwei Tagen Razzia waren und blieben es weniger als die Hälfte – das trostreiche Faktum wird im Abspann genannt. Überhaupt setzt "Die Kinder von Paris", als Gedächtnisarbeit wuchtig und ehrenvoll, auf Emotionen der einfachen Art. Die Guten sind sehr gut, die Bösen sehr böse, und bei der gewaltig ausgemalten Razzia ist es einzig eine Bäckersfrau, die zeternd die antisemitische Anfeuerin gibt. Im Lager gibt es herzzerreissende Szenen von Kindern, die den Lastwagen entgegenrennen, weil sie glauben, dass sie dort ihre Mutter wiedersehen.
Diese rustikale Inanspruchnahme der Publikumsgefühle hat der Regisseurin in Frankreich einige Kritik eingebracht, auf die sie im Gespräch noch immer hochsensibel reagiert. Ihren "Idealismus" will sie von niemandem infrage gestellt sehen, erst recht nicht von "Zynikern", die ihr vorwerfen, vor allem auf die Tränendrüsen zu drücken. "Ja, es ist normal, über diese Familien zu weinen", sagt sie. und weiter "Kein Film kann so tragisch sein wie die reale Geschichte".
"Die Kinder von Paris / La Rafle" gibt es auf DVD oder bei Swisscom TV als Mietfilm.