11. Juni 2011

Der Song zum Wochenende

Heute mal eine vielleicht etwas "schräge" Nummer. Im Original ist der Titel "All by myself" von Eric Carmen, allerdings haben ihn seit seit den 70er Jahren unzählige Künstler gecovert: Celine Dion, Frank Sinatra, Tom Jones, Sheryl Crow, Leona Lewis und Helene Fischer. Die Frau Fischer find ich ja eine ganz Nette... wären da nicht zwei grosse negative Punkte in ihrer Vita. Erstens singt sie Schlager und zweitens - fast noch tragischer - sie ist mit diesem ollen Florian Silbereisen zusammen. Aber ganz ehrlich, sie hat eine grossartige Stimme. Über die letzten Weihnachtstage kam mal ein Konzert von ihr im TV, da hab ich zufällig reingezappt und eben ihre Version von "All by myself" gehört.

10. Juni 2011

Freudenhaus Olympique de Marseille

Ja, es geht wieder los. Zum Meistertitel hat es in diesem Jahr nicht ganz gereicht, immerhin aber zur direkten Champions League Quali - aber das ist in Marseille zu wenig! Und so hat es gestern in der Mittelmeermetropole mal wieder zünftig gerumpelt und es blieb kein Stein auf dem anderen. Präsi weg, Trainer auf dem Absprung und die Besitzerin des Clubs (Foto) sorgt spontan für zusätzliche 20 Millionen Euro auf dem Bankkonto... Fakten gefällig? Bitte sehr.


Seit gestern ist klar, Didier Deschamps wird auch in der kommenden Saison Olympique de Marseille trainieren. Deschamps war schon als Spieler für Marseille aktiv und ist bei den Fans entsprechend beliebt. 1993 gewann er (gegen Milan) die allererste Ausgabe der Champions League. Zu seinen grössten Erfolgen als Trainer gehören: Meisterschaft, Ligapokal, Supercup, Gruppenphase in der CL. Sein Vertrag gilt noch bis 2012 und das ist gut so! Der Club bestätigte erst am Montag, dass an den kursierenden Abwanderungsgerüchten rund um den Kapitän der Weltmeistermannschaft von 1998 nichts dran sei. Am Dienstag dann erneut Gerüchte über Angebote aus dem Ausland, die sich bis gestern tapfer hielten - erst dann war klar: Deschamps bleibt! In meinen Augen waren all diese Gerüchte nur einen Nebenschauplatz, um im Hintergrund den wahren Deal zu planen.

Während der Trainer also bleibt, gab es dagegen einen eher überraschenden und vorallem plötzlichen Wechsel an der Spitze des Vereins. Der neunmalige französische Meister hat per sofort einen neuen Präsidenten. Der bisherige 40jährige Vincent Labrune (Foto rechts) übernimmt das Amt von Jean-Claude Dassier (Foto links). Der geborene Pariser und ehemalige TF1-Fernsehmann hatte es in Marseille nie einfach. Er war vom Typ her bei den Fans nicht beliebt, seine Transferpolitik liess zu wünschen übrig, die Titelverteidigung wurde erwartet, aber nicht erreicht und eben - er kam aus Paris! Das war zuviel für das Pulverfass OM, Dassier wurde, zusammen mit seinem Kollegen Antoine Veyrat, kurzerhand in die Wüste geschickt - mit einem 2 Millionen Euro Rucksack. Es ist nun damit zu rechnen, dass Labrune Trainer Deschamps mehr Freiheiten gibt in Sachen Transfers. Damit das auch funktioniert hat die Besitzerin des Vereins, Margarita Louis-Dreyfus (die Witwe des ehemaligen Schweizer Besitzers RDL), mal schnell 20 Millionen Euro locker gemacht, welche für allfällige Defizite und neue Spieler eingesetzt werden dürfen. 20 Millionen Euro? Damit würde der FC Aarau lockere 5 Jahre überleben... 

Nun, Vincent Labrune ist wohl nur die Notlösung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Newbie längerfristig auf dem Präsidentensessel von OM sitzen bleibt. Das Stadion wird aktuell - nur gerade 13 Jahre nach dem Komplettumbau - zu einem modernen Fussballtempel umgebaut, die Ansprüche der Fans sind überirdisch und auch das Sponsoringumfeld fordert weitere Titel. Nationale Meisterschaften und internationale Erfolge sind gefragt, dazu sollen Nationalspieler wie Alou Diarra ins Vélodrôme gelockt werden. Aber wer ist verrückt genug diesen Job zu übernehmen? Kommt der alte und äusserst beliebte Präsi, Pape Diouf, zurück oder ein Bekannter aus ganz früheren Tagen? Bernard Tapie wurde von einer französischen Sportzeitung angefragt, ob er denn noch einmal Lust hatte. Sagen wir mal so, ein Dementi sieht anders aus. Aber ganz ehrlich, wer sonst ausser Tapie (Foto) würde besser ins Irrenhaus OM passen... die Chancen dass der Club dann in ein paar Jahren wieder komplett pleite und zwangsabgestiegen ist sind gross, aber das kümmert heute natürlich noch niemanden. Hauptsache man feiert zuvor noch ein paar Erfolge!

PS: Ein kurzes Wort noch zum gestrigen Finale von Germay's Next Top Model Finale bei Pro7. Die Jana hat gewonnen. Ich wusste gar nicht, dass Pferde und/oder Breitmaulfrösche bei diesem Wettbewerb auch zugelassen waren... mein Fall ist die Jana Beller auf jeden Fall überhaupt gar nicht. Aber auch egal, analog der letzten Siegerin Alisar oder den Pro7-Popstars-Bands wird man sich in gut einem Monat eh nicht mehr an diese junge Frau erinnern.

9. Juni 2011

Robbie Williams hat einen...

Jane Fonda ebenso. Michael Douglas, zusammen mit Catherine Zeta Jones. Und nun hat also auch Robbie Williams einen. Debra Messing und Barbra Streisand ebenso. Die Rede ist vom Coton de Tuléar- der Capo-Rasse. Aber eine Frage sei erlaubt: hat Rob die Restbestände von Gadaffis Viagralieferungen ganz alleine gefressen?



Aber immerhin hatte er unten rum noch etwas an, im Gegensatz zum Schweizer Model Angela Martini. Sie liefert auf dem roten Teppich einen medienwirksamen Upskirt und man(n) stellt fest: Frau Martini mags luftig.

8. Juni 2011

RIP Kino.to - na und?

Und weg ist sie, die Webseite aller Streamingfans! Die Seite Kino.to war der Filmindustrie seit Jahren ein Dorn im Auge. Jetzt hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden das Portal abgeschaltet und die Domain beschlagnahmt. Alles deutet auf einen lange geplanten Schlag gegen die bösen bösen Raubkopierer hin: In mehreren Ländern, u.a. Spanien, Frankreich und den Niederlanden, gab es Hausdurchsuchungen, 13 Personen wurden verhaftet. Allein in Deutschland durchsuchten über 250 Polizisten und Steuerfahnder zeitgleich über 20 Wohnungen, Geschäftsräume und Rechenzentren.

Anlass dieser radikalen Massnahme ist der sog. "Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur gewerblichen Begehung von Urheberrechtsverletzungen", wie die Generalstaatsanwaltschaft mitteilt. Auf der Webseite Kino.to ist seit heute nur noch diese Einblendung zu sehen:

Während Kino.to offiziell immer angab, nur als eine Art Aggregator Streams von aktuellen Filmen zu sammeln und bereitzustellen, hat die Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben Hinweise, die das widerlegen sollen. Es gebe Indizien auf eine enge Verflechtung von mehreren Streamhostern mit der Portalseite. Zudem ermittelt die Behörden darum gegen weitere File- und Streamhoster von Raubkopien, zu denen Links auf kino.to zu finden waren. Kino.to gehörte mit 5,1 Millionen Unique Visitors pro Monat zu den 70 beliebtesten Seiten Deutschlands. Es war das mit Abstand grösste Portal für Streamhoster von Spielfilmen.

Bloss, Kino.to ist auch nur eine Art Baueropfer. Denn wer Filme und Serien übers Internet konsumiert, wechselt nun einfach zum nächsten Anbieter; es gibt schliesslich mehr als genug Alternativen im WWW. Zudem haben die Kino.to Betreiber heute Abend über Twitter angekündigt, dass das Thema noch nicht abgeschlossen sei und man demnächst unter neuem Namen wieder an den Start gehen will. Das Katz- und Mausspiel zwischen Filmindustrie und Usern wird - analog den MP3 - also so lange weitergehen, bis es bezahlbare, gute und legale Streamingdienste gibt. Apple machts mit dem iTunes Store vor, aber auch dieses Angebot ist noch ausbaufähig - da zu teuer und die Filme zu wenig aktuell. Kommt dazu, dass wir in der Schweiz in Sachen Filesharing nicht ans EU Recht gebunden sind und darum sowieso einen Sonderstatus geniessen. In diesem Sinne, schade zwar um Kino.to aber wie heisst es so schön: Der König ist tot, lang lebe der König!

ICF - ein Wolf im Schafspelz

Wer hat gestern Abend den "Club" im Schweizer Fernsehen angeschaut - oder besser hat ihn sich angetan? Ich war dabei, obwohl ich eigentlich mit einem ganz anderen Thema gerechnet hatte: Ich dachte ja, da heute in Bern die grosse Atomdebatte auf dem Programm steht, es gäbe noch eine Art Vorschau auf diesen vielleicht historischen Parlamentsentscheid. Nix wars, es ging um religiöse Heiler. Aufhänger für dieses Thema ist der Auftritt des umstrittenen Predigers Reinhard Bonnke am kommenden Weekend im Hallenstadion Zürich, beim sogenannten "The Big 15". Der Prediger und Missionar Bonnke versetzt Menschenmassen auf der ganzen Welt in blinde Euphorie, weil er behauptet, dass durch ihn Blinde wieder sehen und Taube wieder hören können. Er verspricht, wie Jesus himself, schlimmste Krankheiten heilen zu können. Am Pfingstsamstag predigt er vor ein paar tausend gläubigen Christen in Zürich, auf Einladung der selbsternannten Freikirche ICF. Freikirche? Für mich ist die International Christian Fellowship ICF eine Art Sekte, welche erzkonservative Inhalte verbreitet. Ich kenne eine Handvoll Menschen, die vor einiger Zeit auf den ICF-Zug aufgesprungen sind und inzwischen nicht mehr sich selbst sind. Oder anders gesagt, sich so verändert haben in ihren Ansichten und ihrem Wesen, dass da - meine Meinung! - nur eine zünftige Gehirnwäsche dahinterstecken kann.


In der Schweiz verdanken wir die ICF dem Leo Bigger - er war gestern Abend auch zu Gast im Club beim Schweizer Fernsehen. Wenn man ihn anschaut, dann könnte man denken er sei gerade erst von Take That abgesprungen und mache nun eine Solokarriere als Popstar. Doch, es ist schon ein paar Jahre her, da hab ich als Journi diesen werten Herrn einmal getroffen. Unser Gespräch war sehr kurz, aber meine Meinung war auch schnell gemacht. Tja und da ich ahne wie die Anwälte von ICF funktionieren, belasse ich es nun auch mit weiteren Meinungsäusserungen zu diesem Thema. Ich möchte aber gerne aus der WOZ vom 4. November 2010 zitieren. Printjournalist Carlos Hanimann hat Leo Bigger fast 3 Stunden lang interviewt, die ICF durchleuchtet und unter dem Titel "Der Seelenfänger von Zürich" ein eindrückliches Profil erstellt:

"Irgendwann verliert er die Beherrschung. Seit zwei Stunden lässt sich Leo Bigger befragen – über Gott und über die Welt. Im wörtlichen Sinn. Bigger ist Senior Pastor der International Christian Fellowship (ICF), der grössten Freikirche in der Schweiz. Er wählt seine Worte sorgfältig, wägt ab, relativiert. Er gibt sich offen, tolerant, ausgeglichen. Keineswegs der christliche Fundamentalist, als der er mir vorgängig beschrieben wurde, für den nur die Bibel zählt, der die Welt in Gut und Böse einteilt, in Christen und Nichtchristen, in Himmel und Hölle. Doch dann redet sich der Pastor plötzlich in Rage. In Frankreich sei es einfacher, eine Moschee zu bauen als eine Freikirche. Er verschränkt die Arme. Wartet. Er spreche aus Erfahrung, sagt er dann, und um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen: «Ich habe nichts gegen Moslems, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Frankreich ein muslimisches Land ist.» Der Satz kommt unerwartet. Bigger legt den Kopf nach hinten, streckt sein Kinn trotzig nach vorne. Ist das sein Ernst? Oder nur Provokation? «Und in der Schweiz?», frage ich. «Besteht diese Gefahr auch hier?» – «Ja, logisch. Dort, wo man die Moslems reinholt, ist das nur eine Frage der Zeit.»

Leo Bigger, gebräuntes Gesicht, blonde Kurzhaarfrisur, trägt ein weisses Poloshirt, das er vorne über der Gürtelschnalle in die Hose gesteckt hat, leicht zerrissene Jeans und eine schwarze Jacke. In der Linken hält er einen Kaffeebecher, in der Rechten eine Bibel mit orangem Umschlag, die er sich unter den Arm klemmt, um uns zu begrüssen... Wir folgen Bigger in die grosse Halle. Das alte Fabrikgebäude auf dem Maag-Areal dient der ICF-Gemeinde seit 2003 als Kirche. 3500 Quadratmeter, verteilt auf drei Stockwerke: Seminarräume, Arbeitsplätze, ein Café – und natürlich die sogenannte Celebration Hall, wo an diesem Tag vier Gottesdienste, eine Kindersegnung und eine Taufe stattfinden. 35 000 Franken Miete zahlt die Freikirche jeden Monat. Neunzig Prozent der Kosten deckt sie durch regelmässige freiwillige Spenden, den biblischen Zehnten, den ihr die Anhänger abliefern. Rund zehn Prozent erhält die ICF über Kollekten während des Gottesdienstes. Insgesamt macht das pro Jahr in der Schweiz 4,2 Millionen Franken Einnahmen...

Bis zu 3000 Gläubige kommen jeden Sonntag hierher, um Pastor Leo predigen zu hören, mit ihm zu beten und Gott zu lobpreisen. Aber eineinhalb Stunden vor der ersten Celebration, wie der Gottesdienst in der ICF heisst, ist die Halle kalt und leer. Knapp zwei Dutzend Freiwillige und Angestellte sitzen auf anthrazitfarbenen Plastikstühlen und lauschen aufmerksam einer jungen Frau, die fröhlich den Tagesablauf erklärt: Celebrations, Theaterstück, Klaviersolo des zwölfjährigen Cédric, Kindersegnung – und am Abend die Taufe als Höhepunkt, für die in der Hallenmitte ein kleines Bassin aufgestellt wird. Sie gilt als eigentliche Initiation, sie ist das Bekenntnis zu Jesus: Die erwachsenen Frauen und Männer, die sich taufen lassen, schliessen mit ihrem alten Leben ab und versprechen, ihr Leben fortan mit Gott zu gehen.

Mittendrin sitzt auch Leo Bigger... Die Stimmung ist gut, fast schon unwirklich: keine Morgenmuffel, keine Müdigkeit, kein Misstrauen. Im Gegenteil: Freundlichkeit überall, Offenheit, Herzlichkeit. Es scheint, als wären die Anwesenden auf unseren Besuch vorbereitet...

Bigger wuchs in Buchs im St. Galler Rheintal in einer katholischen Familie auf, besuchte wöchentlich die Kirche, war später Minis­trant, pilgerte einmal im Jahr mit der Familie nach Einsiedeln. Er fand das «megageil» und «krass». So redet Bigger, der 42-jährige Kopf der ICF. Ein Erwachsener mit Jugendsprache. Auf den ersten Blick scheint das aufgesetzt, künstlich. Aber Bigger hat die Rolle des coolen, jung gebliebenen Priesters in den letzten fünfzehn Jahren so verinnerlicht, dass er sich tatsächlich immer so ausdrückt. Seit 1996 leitet er die Freikirche... Leo Bigger verkörpert die ICF wie kein anderer. So, wie er auftritt, ist auch die Kirche: modern in der Erscheinung, erzkonservativ im Inhalt.

Er gab der Kirche ein modernes Kleid, nur zwei Sachen waren für ihn unantastbar: Gott und die Bibel. Angelehnt an angelsächsische Evangelikale, ist die ICF heute eine eigentliche MTV-Kirche: multimedial, poppig, massentauglich. Ihre Botschaft verbreitet sie auf allen Kanälen: in der Kirche, über Face­book und Twitter und neuerdings auch im Fernsehen auf den Privatsendern StarTV und Das Vierte...

Einen Monat lang besuchte ich sonntags die Celebrations der ICF, sah mir alte Predigten von Leo Bigger und seiner Frau Susanna als Podcasts an und hörte christliche Lieder, sogenannte Worshipmusik. Die Botschaft war im Wesentlichen immer dieselbe: Gott liebt dich, Gott nimmt dich auf, wenn du so lebst, wie er es verlangt. Was fasziniert Tausende, vorwiegend junge Erwachsene an dieser Kirche, ihrer Botschaft und ihrem Priester? Warum verstehen aufgeklärte Menschen Homosexualität oder ausser­ehelichen Sex als Sünde? Warum erklären sie psychische Krankheiten mit dämonischer Besessenheit? Oder warum lehnen sie es ab, Harry Potter zu lesen, weil es in diesen Büchern um Zauberei und dunkle Mächte geht?...

Raphael wirkt entspannt, wenn er spricht, offen und ehrlich. Schon nach wenigen Minuten wird er persönlich und erzählt von den Schwierigkeiten in einer «Mischpartnerschaft mit Nichtgläubigen» und warum es richtig sei, mit dem Sex bis zur Ehe zu warten («Das hat mich davor bewahrt, ungewollt Kinder zu kriegen»). Meine Skepsis, was die konservativen Botschaften der ICF angeht, überstrahlt er mit einem Lächeln. Er weiss Gott auf seiner Seite. Daran kann niemand rütteln...

Die wöchentlichen Gottesdienste machen nur einen kleinen Teil des christlichen Lebens aus. «Mit Gott zu gehen» bedeutet, immer im Sinne Gottes zu handeln, die zehn Gebote dienen als Anleitung dazu. In internen Unterlagen der ICF, wo die Anforderungen für Leiter der Kirche festgehalten sind, tönt das beispielsweise so: «Er hat einen guten Ruf. Er ist ehrlich, lügt nicht. Er hat kein Problem mit Alkohol. Er hat einen guten Umgang mit Geld. Er hat keinen ungläubigen Partner. Er soll nur mit einer Frau verheiratet sein. Wer den Sex ausserhalb der Ehe auslebt, kann diesen Punkt nicht erfüllen.» In einem anderen Papier heisst es: «Du kannst nicht Christ sein ohne Mission, ohne zu dienen.» Oder zum Thema Selbstverantwortung: «Ich verstehe mich als treuer Verwalter meines Geldes und gebe Gott, was ihm gehört, indem ich den Traum von ICF finanziell mittrage.»

Trotzdem stellt sich die ICF gerne als weltoffene Gemeinde dar, verwahrt sich gegen den Vorwurf, dass sie sich und ihre AnhängerInnen abgrenze und eine eigentliche Parallelgesellschaft bilde. Auch die Vorwürfe, dass sie ihren AnhängerInnen das Geld aus der Tasche ziehe, weist die Freikirche vehement von sich. Das sei ein Versuch, die ICF als Sekte zu verunglimpfen. Aber auch für die konservativen Inhalte wird die ICF immer wieder kritisiert. Das Schwarz-Weiss-Denken, die Spannungen mit Nichtchristen, die engen gesellschaftspolitischen Ansichten – das alles verträgt sich kaum mit einer offenen, komplexen und uneindeutigen Welt...

Leo Bigger trinkt einen Schluck Wasser und schimpft über die Journalisten. Nach zwei Celebrations, einer Führung durch die ICF-Räumlichkeiten und einem längeren Gespräch mit dem Pressesprecher sitze ich Bigger in einem kahlen Büroraum gegenüber. Er lese keine Zeitungen, sagt er. Was da alles verdreht und gelogen werde. Einzig Radio Energy hört er manchmal, er mag den Sender. Mainstream, poppig, einfach gestrickt. «So wie ich auch bin. Das finde ich cool.» Aber was sogenannt seriöse Zeitungen schrieben, sei ärgerlich. Fast zwanzig Minuten lang wettert er drauflos. Einige Tage vor unserem Treffen war ein Zeitungsartikel über Bigger erschienen, der ihm unterstellte, den jungen AnhängerInnen jährlich Millionen abzuknöpfen. Bigger wirkt getroffen, verletzt, ein wenig unberechenbar wie ein angeschossener Löwe. Er ist in Verteidigungshaltung, spricht über die jahrhundertelange Verfolgung der Kirchen, über Hetzkampagnen, mit denen versucht werde, die ICF in die Sekten­ecke zu drängen. Er hätte jetzt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen zu Mittag essen können, statt sich interviewen zu lassen. Es klingt wie eine Drohung: «Don’t fuck around with my time», sagt er, bevor ich endlich eine Frage stellen kann.

In der Folge sprechen wir über seinen katholischen Hintergrund, über seine Prinzipien, über die Botschaften, die er verbreitet. Dabei gibt sich Bigger äusserst tolerant und vorsichtig. Auch beim Thema Sexualität hält er sich zurück, relativiert. Er behauptet, dass es «tonnenweise» Schwule in der ICF gebe. «Die Kirche ist offen für jede Person.» Erst als ich frage, wie er es fände, wenn seine Söhne schwul wären, stockt er. «Dann hätte ich natürlich schon ein paar Fragen.»

Bigger ist ein Mann der Widersprüche, das wird in unserem fast dreistündigen Gespräch klar. Er predigt gegen den Schönheitswahn, gegen MTV, gegen den schnöden Mammon. Gleichzeitig könnte der trainierte Pastor, der sich einmal im Monat eine neue Frisur verpassen lässt, ebenso gut als hipper Moderator des Musiksenders durchgehen.

Bigger ist ein Versteckspieler. Im Gespräch weicht er aus und verliert sich in Anekdoten. Erst wenn er in die Ecke gedrängt und provoziert wird, sagt er beispielsweise: «Egal, ob jemand schwul ist, ausserehelichen Sex hat oder süchtig ist: Irgendwo ist in seiner Identität etwas verkrümmt. Das muss man geradebiegen.»

Bigger ist ein Fundamentalist – was sachliche Diskussio­nen fast verunmöglicht. Alles läuft auf die gleiche Antwort hin­aus. Jede Kritik, jedes Zweifeln wehrt er ab. Denn am Ende einer Fragereihe steht immer das endgültige, unüberprüfbare und dar­um unangreifbare Argument: Gott.

Bigger ist ein Provokateur. Er behauptet, mit Macht nichts anfangen zu können, betont aber während des Gesprächs immer wieder, wie viel Einfluss er und seine Kirche hätten. Obwohl sich Bigger als unpolitisch bezeichnet, steht er der SVP nahe, mag Blocher, weil der «es mal sagt». Und vielleicht funktioniert Bigger sogar nach einem ähnlichen Prinzip: Er gibt einfache Antworten, wo es keine einfachen Antworten gibt. Das lockt die Leute an. In ungewissen Zeiten sowieso. So fängt er die verlorenen Seelen ein.

Aber irgendwann verliert Bigger während des Gesprächs die Beherrschung. Er holt aus zu einer Tirade gegen den Islam, versteigt sich zu Verschwörungstheorien, wonach es einen muslimischen Plan gebe, Europa zu erobern, indem «die Araber» mehr Kinder zeugten als die Europäer. Er glaubt, dass die Schweizer ihr Land aus den Händen gäben, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis wir in einem «Moslemstaat» lebten. Er empört sich, dass die Journalisten versuchten, die ICF mit missionarischem Eifer zu bekämpfen, dass seinem Sohn in der Schule beigebracht werde, dass der Mensch vom Affen abstamme, dass den Landeskirchen vom Staat «das Geld in den Arsch» geschoben werde. Der Rundumschlag dauert eine halbe Stunde."

Der obige Beitrag besteht aus Auszügen aus dem Originalbericht, welcher hier bei der WOZ nachzulesen ist. Fotos: Facebook