10. November 2010

Heute vor einem Jahr starb Robert Enke

Zu seinem Tod habe ich in meinem Blog den folgenden Titel geschrieben: "Wir sind schuld am Tod von Robert Enke" und damit eine Lawine ausgelöst. Meine Zeilen wurden in zahlreichen Zeitungen zitiert, ich durfte sowohl ein Radio- als auch ein TV-Interview zum Thema Depression geben. Der 10. November 2009 (und der 11. ebenfalls) geht dadurch in trauriger Weise in meine Bloggeschichte ein. Die Besucherzahlen dieser Tage dürften wohl bis auf weiteres unerreicht bleiben, gegen 100'000 Leserinnen und Leser. Und auch die Kommentare erreichten einen Peak, über 100 an nur einem Tag im Blog - dazu noch unzählige bei Facebook. Tja, so läufts in den Medien: des einen Freud ist des anderen Leid.  Entsprechend verwundert es auch nicht, dass der meistgelesenste Blogbeitrag seit Anfang November (rund 2200 x) ein Text über Natascha Kampusch ist - mehr als die Texte über Alex Frei, die Abstimmung vom 28. November oder ähnliches. Seis drum, Robert Enke wird dadurch auch nicht mehr lebendig und besonders viel gelernt hat man ja scheinbar aus diesem tragischen Selbstmord auch nicht. Die Zahl der Burnout-Patienten nimmt täglich zu, jeder dritte Arbeitnehmer leidet unter dem Druck und nimmt Medis, Alk oder Drogen zu sich... Es scheint, als wären es bloss Lippenbekenntnisse gewesen, heute vor einem Jahr. Hier noch einmal der Beitrag, welchen ich vom 10. November auf den 11. November 2009 verfasst habe:

"Wir? Ja, wir als Gesellschaft! Der deutsche Nationaltorwart Robert Enke steht mit seinem Suizid stelllvertretend für 1000 Menschen, die sich allein in Deutschland pro Jahr freiwillig vor einen fahrenden Zug stellen - das sind 3 Todesopfer pro Tag. Mit Enke hat sich nun ein Prominenter das Leben genommen und darum nehmen jetzt die Medien die Themen Depression und Selbstmord plötzlich auf. Nur, wie konnte es überhaupt soweit kommen? Fakt ist, die Öffentlichkeit hat ihn nie gekannt. Ein paar Gedanken...

Teresa, die tapfere Witwe von Robert Enke, hat heute im Rahmen der Medienkonferenz von Hannover 96 Stellung genommen zur Krankheit und zum Tod ihres Mannes. In meinen Augen der einzig richtige Weg um allfälligen Spekulationen der Medien einen Riegel zu schieben. Dass sie diesen Auftritt gemeistert hat verdient Respekt, zeigt aber auch, dass sie sich über all die Jahre mit der Krankheit ihres Mannes auseinandergesetzt hat. Was sie an dieser Medienkonferenz gesagt hat, das sollte uns zu denken geben. Ihr Mann hat sich nicht getraut mit seiner Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen. Er hatte Angst vor den Folgen. Da waren sein Arbeitgeber, die Fans, die Sponsoren und die Medien - für alle ist ein Mann der an Depressionen leidet kein richtiger Mann. Zum anderen hatten die Enkes nach dem Tod ihrer leiblichen Tochter (Lara) ein Mädchen (Leila) adoptiert, auch da fürchtete sich Robert Enke davor, dass das Jugendamt ihm das Kind vielleicht wieder wegnehmen könnte, wenn öffentlich geworden wäre, dass er psychisch krank ist. Und die alles überspannende Frage: "Was denken die Leute?"

Ihr meint Enkes Berfürchtungen seien aus der Luft gegriffen? Nein, genau diese Ängste sind berechtigt und leider begründet. Aktuelle Beispiele sind der Skispringer Sven Hannawald und der ehemalige Bayern München Spieler Sebastian Deissler. Ihnen ist es nicht gelungen die Krankheit zu verbergen und ihre Karrieren waren schneller zu Ende als sie das Wort Depression hätten sagen können. Kein Wunder also hat sich Robert Enke gegenüber der Öffentlichkeit nicht geöffnet. Hat sogar seinen Arzt, seine Frau und seine ganze Familie getäuscht nur um sein Gesicht zu wahren. Und das in einer Gesellschaft welche im Jahr mehrere Milliarden Franken für Antidepressiva-Mittel ausgibt. Wo der Manager am Morgen sein Paroxedin oder sein Seroxat reinhaut um den 14 Stunden Tag zu überstehen. Lieber den Schein wahren und die Maske aufsetzen als einmal zuzugeben, dass es einem dreckig geht. Und genau darum müssen wir uns in unserer Leistungsgesellschaft nicht wundern, dass Tag für Tag Menschen den Freitod wählen.

Natürlich war Robert Enke ein toller Mensch, niemand würde es in den Tagen nach seinem Ableben wagen schlecht über ihn zu sprechen. Er liebte Tiere, lebte auf einem Bauernhof, ging gerne ins Theater, las gerne Bücher, gründete eine Stiftung für kranke Kinder. Er und seine Frau Teresa verloren vor wenigen Jahren ihre kleine Tochter, seine Engagements in Spanien und der Türkei waren nicht von Erfolg gekrönt. Ja, der Robert Enke sagte selber vor wenigen Wochen in einem Interview den folgenden Satz:


"Ich weiß nicht, ob jemand das Leben lenkt. Aber so viel weiß ich: Man kann es nicht ändern. Ich glaube, dass alles einen Sinn hat."

Genau zugehört hat im scheinbar niemand. Als er in der letzten Bundesligarunde gegen den HSV sein Comeback nach einer Viruserkrankung gab, war für alle Beteiligten wieder alles gut und die Schulterklopfer standen wieder Gewehr bei Fuss. Niemand hat sich die Frage gestellt, warum Enke immer gerade vor grossen Anlässen wie Nationalmannschafts-Einsätzen, Transfers oder wichtigen Spielen immer wieder ausgefallen ist. Es war halt einfach so, schliesslich gehören Depressionen, Homosexualität oder Versagensängste nicht nur im Fussball zu den Tabuthemen, über die man nur ungerne spricht. Typisch für unsere Gesellschaft, wir stellen lieber mal keine Fragen und wir nehmen unangenehme Krankheiten wie eine Depression einfach nicht ernst. Krank ist, wer ein Bein weg hat - der Rest ist simuliert!

Und wer jetzt denkt, ja schreib du mal Monsieur Fischer dem sei gesagt, dass mich diese Enke Geschichte überhaupt beschäftigt liegt daran, dass ich seine Situation im Ansatz verstehen kann. Ich selber litt vor einigen Jahren unter einem Burnout, lange ging ich zur Arbeit und war auch in der Freizeit der lustige und aktive Fischer wie man ihn gekannt hat. Als es eines Tages dann nicht mehr ging und ich vom Arzt krankgeschrieben wurde brachen andere Zeiten an. Mein damaliger Arbeitgeber liess mich fallen wie eine heisse Kartoffel, angeblich gute Freunde wandten sich von mir ab und auch sonst war nichts mehr wie früher. Beziehungen wurden auf eine harte Probe gestellt, die Schulterklopfer aus der Radio-Zeit waren plötzlich weg und bei gewissen Vorstellungsgesprächen eilte mir der Ruf des psychisch kranken Typen - als den ich mich selber nie gehalten hatte - voraus. So wirklich interessiert was ein Burnout ist, haben sich eigentlich nur sehr wenige Menschen aus meinem Umfeld. Sehr viele dagegen waren der Meinung, dass wenn sie den Kontakt mit mir (dem Simulanten, mir fehlte ja kein Bein) abbrechen, sie selber eine solche Krankheit nie erreichen wird.

Entsprechend antwortete Enkes behandelnder Arzt anlässlich der Medienkonferenz auch die Frage danach, ob es dem Torwart vielleicht etwas geholfen hätte, wenn er seine Krankheit öffentlich gemacht hätte mit einem klaren Nein. Nein, denn unsere Gesellschaft will sich nicht mit solchen unangenehmen Sachen beschäftigen., wer in psychiatischer Behandlung ist, den nimmt man nicht mehr ernst und zweifelt an seiner Leistungsfähigkeit. Lieber ein bisschen Betroffenheit zeigen in den nächsten Tagen, den Verstorbenen loben und sich dann wieder der Schweinegrippe und dem nächsten Vertragsabschluss widmen. Schliesslich muss die Kohle für den täglichen Alkohol oder das alltägliche Xanax ja irgendwie angeschafft werden, damit der Manager auch die restlichen Tage dieser Woche irgendwie übersteht.

An dieser Stelle ein warmer Gruss an die Familie Enke und deren Angehörige, an die Fans von Hannover 96, den Lokführer und an alle, die diesen Text gerade gelesen haben und vielleicht auch nur ein bisschen mit ihrem Kopf genickt haben. Und ach ja, den Entscheid des DFB das Länderspiel vom Samstag gegen Chile nicht durchzuführen geht immerhin in eine richtige Richtung, nur so lässt man allen Beteiligten genug Zeit mit ihrer Trauer umzugehen. Und ja Oli Bierhoff, auch Männer dürfen weinen!

Zum Schluss ein Zitat von Teresa Enke, welches uns verdammt nochmal zu denken geben sollte:

"Wir dachten, wir schaffen alles. Wir dachten halt auch, mit Liebe geht das. Man schafft es aber doch nicht."

9. November 2010

Musik liegt in der Luft

Nein, es geht heute nicht um diese Schlagersendung aus den 80er oder 90er Jahren mit - man behafte mich nicht darauf - Peter Alexander und Caterina Valente. Sondern ich hab in letzter Zeit viel gute Musik gekauft und kam irgendwie gar nie dazu, darüber zu berichten. Darum hole ich das heute nach und stelle ein paar tolle CDs vor, welche in den letzten Tagen und Wochen auf meinen Wiedergabegeräten in der Hot Rotation laufen! 

Soprano - La Colombe: Der Rapper - mit viel Gefühl - aus Marseille ist zurück! Nach 250'000 verkauften Exemplaren seines ersten Soloalbums grüsst Soprano mit „La Colombe“. Das Album enthält 15 Titel, mit Gastauftritten von Amadou und Mariam sowie der jungen Garde aus Marseille: R.E.D.K, Awa Imani und Psy 4 De La Rime. Modern und sehr sauber produziert mischt sich äusserst technischer Rap mit Stücken, die durchaus das Label Pop verdienen. Mein Favorit auf dem Album ganz klar die aktuelle Single "Hiro", welche ich ja schon einmal im Song zum Wochenende vorgestellt habe. Genialer Text, toller Sound. Allein die Single hör ich derzeit locker 4 x pro Tag.  

James Blunt - Some Kind of Wonderful: Nun, das Küken ist ja erst ganz frisch aus dem Ei geschlüpft. So wirklich viel kann ich dazu noch nicht sagen ausser, James Blunt bleibt James Blunt - und das ist gut so! Okay, er hat vom Tempo her bei ein paar Songs, dazu gehört auch die aktuelle Single "Stay the Night", ein bisschen zugelegt. Ein Track geht gar nicht, der Rest ist spitze. Schön melancholisch, seine Stimme, ein Piano oder die Gitarre dazu, das reicht oft. Falls er "No Tears" als Single auskoppeln sollte garantiere ich einen grossen Erfolg, das Lied hat bei mir beim allerersten Anhören Gänsehaut erzeugt. Wunderschön übrigens auch "Heart of Gold" oder "Best Laid Plans". Und auch wenn ich mir dann wieder die (bescheuerte) Frage "Besch schwul oder was?" anhören muss, ja ich freue mich auf sein Konzert im März in Zürich!

The Young Gods - Everybody Knows: Wie soll man das neue Album der (nicht mehr sooo ganz) jungen Götter beschreiben? Electro triftt auf Rock trifft auf Blues trifft auf Country trifft auf Pop trifft auf Romantik trifft auf Punk... "Aux Anges" tänzelt luftig leicht, gleich nach dem stampfenden Brecher "Tenter le grillage" und unmittelbar vor dem düstereren schwerfälligen "Once again". Lediglich 10 Titel sind auf der Platte drauf, perfekt abgemischt - ein kurzer, aber perfekter Trip. Franz Treichler und seine Mannen lassen es dieses Mal eher ruhig angehen, vermutlich noch geprägt von ihrer Accoustic-Tournee. Geilster Song: "No Man's Land". Aber eben, wie soll man "Everybody Knows" nun beschreiben? Ganz einfach: Young Gods pur und gut!

Reamonn - Eleven: Es kommt selten vor, dass ich es wirklich bedauerlich finde wenn sich eine Band auflöst. Bei den meisten bin ich sogar erleichert und bei noch vielen mehr würde ich es mir sehnlichst wünschen - nur, Reamonn löst sich leider auf und sagt mit dem Album "Eleven" Adieu. Schade, ich hatte zu Supergirl-Zeiten die Möglichkeit den Rea Garvey zu interviewen, ein ganz toller Bursche mit einer sensationellen Stimme. Eleven ist ein Best of-Album und trotzdem gelungen, das liegt nicht zuletzt daran, dass mit "Aeroplane", "Yesterday" und vorallem "Colder" noch einmal tolle Songs auf der CD gelandet sind. Abgerundet wird das letzte Werk durch die grossen Hits der letzten Jahre. Bye bye Reamonn! 

Bligg - Bart aber herzlich: Hmmm, was soll ich sagen. Ja, ich find den Herrn Bliggensdorfer eigentlich grundsätzlich gut, fand ich schon zu Bligg&Lexx. Dann gabs ne Zeit wo ich ihn nicht mehr so verfolgt habe und spätestens seit Rosalie kommt man ja gar nicht mehr um Bligg herum. Zu Recht! Er hat sich clever eine Nische in der Schweizer Musikszene geschnappt, Stadt trifft Land. Rap meets Hackbrett. Auf seinem neuen Album beweist Bligg, dass er in der Lage ist, im Stil von Rosalie und Co. nachzulegen. Böse gesagt ist es moderner Schlager – oft mit Hackbrett und Handörgeli mit Bläsereinsätzen, Ska- und Rockelementen. Zitat aus dem Tagi: "Textlich trägt er oft dick auf und wandelt zwischen selbstmythisierender Blut-Schweiss-und-Tränen-Rhetorik, recht seichtem Witz und Wortspielen". Hörtipps: "Manhatten", "Any May", "I'll kill for you" und natürlich die Helden und Legenden. 
 
Fanta 4 - Für Dich immer noch Fanta Sie: Wie geil ist denn dieser Albumtitel? Herrlich. Und genau diese Art von Humor zieht sich durch das aktuelle Werk der Stuttgarter Herren - Jungs kann man ja nicht mehr sagen. Immerhin feiern die Vier ihr 20jähriges, ja so lange ist "Sie ist weg!" bereits her. Das neue Album bietet HipHop der besonderen Sorte, back to the Roots würde ich schon fast sagen. Musikalisch oft einfach gestrickt, aber fast jeder Song mit Hitcharakter und dazu zum Teil sehr selbstironische Texte. Es ist kein Album dass man einfach zum Staubsaugen hören sollte, zumindest einmal muss man sich die Texte genau anhören: es lohnt sich! Die Singles "Gebt uns ruhig die schuld" oder "Danke!" sind bekannt und gut. Mir gefällt der Thomas D Solotrip "Mantra" noch, aber auch "Die Lösung" oder "Für immer zusammen" laufen häufiger. 

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Lady Antebellum - Need you Now: Jaaaa, ich höre Country. Zumindest so eine Art Country-Pop, denn eigentlich mag ich ja keinen Country oder ich würde es zumindest nicht öffentlich zugeben. Spass beiseite, Lady Antebellum fasziniert mich, um es genauer zu sagen die Stimme von Hilary Scott haut mich um! Dem mit seinem ersten Grammy gekürten Trio gelingt einfach eine Hitsingle nach der nächsten. Waren sie im Sommer letzten Jahres noch mit "I Run To You" ganz oben, hat die bereits vor dem Album veröffentlichte Single "Need You Now" den Triumphmarsch durch die Singlecharts fortgesetzt. Und da spielt es dann auch keine Rolle, dass es auf dem Album viele Countrygitarren hat... 

Unheilig - Die grosse Freiheit: Ich gebs zu, diesen Hype hab ich irgendwie entweder unbewusst ignoriert oder  verpasst. Unheilig war für mich lange so ne Art Schwachstrom-Version von Rammstein und Rammstein mag ich nicht wirklich. Nun, bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest gabs dann Unheilig und ich hab zum ersten Mal auf die Texte gehört: Chapeau, nicht schlecht Herr Specht. Danach hab ich mir das Album geholt und es gefällt mir. Erst recht seit ich erfahren habe, dass sich Der Graf lediglich so nennt, weil er im richtigen Leben scheinbar einfach Graf mit Nachnamen heisst. Kurz, auch im TV-Interview war mir der Herr sehr sympa und Songs wie "Unter deiner Flagge", "Das Meer" oder "Heimatstern" erinnern mich fast mehr an Wolfsheim denn an Rammstein und Peter Heppners Stimme mag ich sehr! 

Zaz - Zaz: Frolein Wunder aus Frankreich! Ja es ist eine Art Sensationsgeschichte, die charmante Isabelle Geffroy war bis 2009 eigentlich Strassenmusikerin, nahm an einem Pariser Talentwettbewerb teil, gewann und steht nun mit ihrem Album in den top Rankings der europäischen Hitparaden. Ein musikalisch hochkarätiges Rendez-vous von Chanson, Jazz, Gibsy, Swing und eingängigen Pop-Melodien. Ihre Single "Je veux" - ja genau das ist die mit dem Kazoo - läuft bei den Radiostationen auf und ab. Meine Chouchou-Songs sind derzeit allerdings "Eblouie par la Nuit" und "Dans ma Rue" - im Original übrigens von Edith Piaf! Und nun ab in die CD-Shops, den iTunes-Store und Co.: kaufen, kaufen, kaufen! 

8. November 2010

2 x Ja? 2 x Nein? Was sagst Du am 28. November?

Am 28. November stimmt das Schweizer Volk über die Ausschaffungs-Initiative der SVP und den Gegenvorschlag ab. Dieser Abstimmungssonntag sorgt im Land schon seit einiger Zeit für viel  Zünd. und Gesprächsstoff, die überzeugten Ja-Sager erzählen ihre Version der Geschichte, die ebenso überzeugten Nein-Sager  halten ihre Argumente feil. Wie man am Schluss abstimmt, das bleibt - zum Glück -jeder Schweizerin und jedem Schweizer selber überlassen. Ein Hoch auf unsere Demokratie. Trotzdem gehen die Emotionen im Vorfeld der Abstimmung hoch, unlängst hatten wir sogar innerhalb der Familie eine gute Diskussion zum Thema. Das Wort gehört heute den Gegnern zu Initiative und Gegenvorschlag. Second@s Plus Schweiz setzt sich für ein doppeltes Nein ein. Einer ihrer Vertreter ist Ivica Petrusic: Jahrgang 1977, Sozial- und Jugendarbeiter, SP-Grossrat im Kanton Aargau, Musiker. 

Ivica, wo sind die Unterschiede der beiden Vorlagen?

Unsere Kampagne haben wir unter dem Slogan: „2x Nein zum Raser und zum Betrüger, Nein zur Ausschaffungsinitiative und zum Gegenvorschlag“ lanciert. Wir sagen Nein zur Kriminalität, betonen jedoch, dass keine der beiden Vorlagen eine Lösung im Bereich der Sicherheits- und Integrationspolitik bietet. Vor allem – und das ist der wichtigste Aspekt – beide Vorlagen machen keinen Unterschied zwischen diesen AusländernInnen die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind und solchen die im erwachsenen Alter in die Schweiz eingewandert sind. Wer in der Schweiz geboren und/oder aufgewachsen ist, soll auch in der Schweiz bestraft werden. Die meisten Second@s kennen ihre ursprünglichen Heimatländer lediglich (falls überhaupt) aus den Ferien. Ihnen sind diese Länder fremd, die Schweiz ist ihre Heimat. Wegen des strengen Einbürgerungsgesetzes bleiben viele Jugendliche Ausländer im eigenen Land. Wir züchten also eigene Ausländer die wir dann (ausser sie spielen dann für unserer U17 Fussballnationalmannschaft) politisch missbrauchen können.

Was stösst dir bei der SVP-Initiative und beim Gegenvorschlag besonders sauer auf?

Sauer – das ist ein wenig bedenklich – stösst mir bei der SVP nichts mehr auf. Die Zeiten der Geschmacklosigkeit sind vorbei. Ich rege mich auch nicht mehr darüber auf, dass Sie keine einzige Lösung im Bericht der Sicherheits- und Integrationspolitik machen. Sie schüren Ängste und – nun komm ich zum Bedenklichen – die Bevölkerung spielt mit.  Die so tolerante Schweizer Bevölkerung sagt im Jahrestakt Ja zu völkerrechtswidrigen Vorlagen. Dadurch, dass die anderen Parteien nichts dagegen ausrichten wollen/ können erscheint das Ganze auch für einen „normalen Bürger“ unbedenklich.

Die SVP ist im permanenten Wahlkampf – und den betreibt sie seit Jahrzehnten mit Millionen von Franken und auf dem Rücken von MigrantInnen und Asylsuchenden. Im Wahlkampf 2007 lancierte sie mit einer massiven Plakat- und Inseratekampagne ihre Ausschaffungsinitiative. Dass bereits nach  dem geltenden Ausländergesetz jährlich Hunderte von straffälligen AusländerInnen ausgeschafft werden, kümmert sie genauso wenig wie die Tatsache, dass ihre Initiative völkerrechtswidrig und damit nicht umsetzbar ist.

Die „Parteien der Mitte“ buhlen mit der SVP um einen Teil am fremdenfeindlichen Wahlkampfkuchen. Statt die völkerrechtswidrige Ausschaffungsinitiative für ungültig zu erklären oder wenigstens klar und deutlich nein zu sagen, haben sie deren Forderungen mit dem Gegenvorschlag nur deren Form nach geändert und  in eine Fassung gebracht, die mit dem Völkerrecht – und das heisst: insbesondere mit dem bilateralen Freizügigkeitsabkommen mit der EU – vereinbar ist. Als „Zückerchen“ für die Linke wurde dem Gegenvorschlag ein Integrationsartikel hinzugefügt. Dieser lässt aber das für die Betroffenen am Wichtigste – die politische Teilhabe – komplett vermissen und ist mehr als unverbindlich: er belässt seine Umsetzung auf der freiwilligen Ebene der Kantone.

In der Schweiz gibt es ja schon heute die Möglichkeit, straffällige Ausländer auszuschaffen. Was denkst du, warum der Ruf nach verschärftem Vorgehen laut geworden ist und wir am 28. November darüber abstimmen?

Der Gegenvorschlag greift eigentlich das bereits geltende Vorgehen auf und möchte es auf Verfassungsebene verankern. Die Thematik die eigentlich hinter diesen Vorschlägen die Bevölkerung bewegt, ist eine allgemein herrschenden Verunsicherung in Europa. Die Globalisierung und gestiegene Mobilität sorgen heute europaweit für Unsicherheit. Max Frisch hat mal geschrieben: „Wir wollten Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen“. Die Menschen brachten nicht nur ihr Arbeitswerkzeug sondern auch ihre Kultur mit. Und vor allem die Menschen sind geblieben. Um eine Integration hat sich in der Schweiz nie jemand pro-aktiv gekümmert. Die Menschen (auch heute noch) bleiben, in der Schweiz arbeitend, doch in vielen Bereichen ausserhalb des Systems. Diese Politik rächt sich nun nach Jahrzehnten. Die Integrationsbestrebungen des Staates reichen heute nicht aus um die Fehler der Vergangenheit zu beheben. Die politisch Rechte nutzt diese Fehler nun aus und macht die Situation mit ihrer einfachen „Sündenbock- Politik“ (alles schon gehabt in Europa) noch schlimmer.

Welchen Einfluss werden Raser-Geschichten, die Angst vor dem Islam oder gewalttätige Jugendliche auf den Verlauf der Abstimmung haben?

Meine persönliche Meinung und meine Beobachtung als Jugendarbeiter ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Prävention, Polizei und Strafbehörde nicht gut funktioniert. Zwar ist die Gewaltentrennung nach wie vor hoch zu halten, die pädagogische Kraft der Repression bleibt aber weiterhin unterschätzt. Die Menschen verstehen nicht, warum solche Leute nicht gezielt und viel schneller bestraft werden. Man rechnet dann ein wenig zusammen, beeinflusst von der SVP-Propaganda und schon hat man eine einfache Lösung des Problems gefunden. Dazu kommt dass wir als längst säkularisierte Gesellschaft Probleme mit Menschen die Religion als absolut und dogmatisch verstehen, haben. Hier müssen, wir konsequet (nicht nur bei Islam sondern zum Beispiel bei verschiedenen freikirchlichen Bewegungen) unseren Rechtsstaat verteidigen, für welchen in Europa übrigens sehr viel Blut vergossen wurde.

Was sagst du gegen die Argumente der Befürworter wie "Ausländer die sich nicht an unsere Regeln halten müssen gehen" oder "Wer das Schweizer Gastrecht missbraucht muss halt die Konsequenzen tragen."?

Grundsätzlich kann ich mich dieser Meinung anschliessen. Jedoch muss ich die Position der Second@s Plus nochmals betonen. Wir sind nicht für die Kriminellen sondern dafür, dass die Menschen die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind auch hier bestraft werden. Zu dieser Frage kann ich mich also nur wiederholen: Hier geboren – hier geblieben! Die meisten der allenfalls auszuschaffenden MigrantInnen leben und arbeiten seit Jahren in der Schweiz oder sind gar hier geboren: Sie sind sogenannte Secondos/Secondas. Dass sie keinen roten Pass haben macht sie weder zu besseren noch zu schlechteren Menschen als SchweizerInnen.

Abschliessend, Iviva, warum ein Doppel-Nein am 28. November?

Ob Ausschaffungsinitiative oder Gegenvorschlag – das Ergebnis wäre in beiden Fällen das Gleiche: eine Drei-Klassen-Justiz. Für schweizerische Straftäter würde weiterhin nur das Strafrecht gelten. Für Kriminelle aus der EU gilt das Freizügigkeitsabkommen: Sie können nur ausgeschafft werden, wenn sie auch nach ihrer Haft weiterhin schwere Straftaten begehen. Nur die Menschen aus dem Rest der Welt träfe der neue Verfassungsartikel mit voller Härte. Dazu nochmals die erwähnte Second@s Problematik. Zu dieser Ungleichberechtigung kann ich nicht stehen. Vor dem Gesetz müssen alle gleich sein. 

Danke für das Gespräch, Ivica.

Und ja, eigentlich wollte ich hier im Blog auch einen Befürworter zu Wort kommen lassen, nur leider hab ich bis zum heutigen Tag kein Antworten auf meine sechs Fragen erhalten... Abschliessend noch ein Hinweis auf eine - in meinen Augen - originelle Aktion. Gut, nicht nur unbedingt was den Inhalt angeht, gut vielmehr die Idee, sich nicht hinter dem Ja - oder in diesem Fall - dem Nein zu verstecken. Oftmals wird in der Schweiz ja sogenannte "Wahlgeheimnis" beschworen, d.h. niemand will so genau sagen für wen er gewählt oder was er abgestimmt hat. Und so wundert es ja manchmal schon ein bisschen, warum eine Initiative abgelehnt oder angenommen wird, obwohl im Ausgang und bei der Arbeit alle erzählen sie hätten - wie die Lemminge - XY gestimmt. Also, her mit euren Visagen, mehr zur Aktion: "NEIN NEIN - Ich zeige mein Gesicht und stimme am 28.11.2010 2 x NEIN!" Und bevor ihr nun - hoffentlich einen Kommentar zum Thema dieser Abstimmung hinterlasst denkt daran, wir leben in einer Demokratie und jeder darf seine eigene Meinung haben, ohne dass er sich dafür Beleidigungen anhören muss (Erfahrungswerte im Blog...): Respekt!

7. November 2010

1:7

Gut, gegen ein Spitzenteam der Nati B, wie heute Biel, darf man als grosser Absteiger aus der Super League auch einmal in dieser Höhe verlieren. Auch das Cup-Aus gegen die Giganten aus Kriens, easy. Es läuft ja sonst alles so super beim FC Aarau - auf und neben dem Platz nur wahre Könner (das ist doch die deutsche Übersetzung für Dilettanten, oder?) am Werk... Ob Zufall oder Schicksal, aber wenn man bei der Bildsuche von Google "FCA" eingibt erscheint als erstes das folgende Logo. Fehlt nur noch ein fettes RIP unten dran. Ich meinerseits beschränke mich auf ein leises "Gute Nacht FC Aarau!".




6. November 2010

Der Song zum Wochenende

Wer kennt diesen Song noch? "De-De-De-De-DRS drüü....", legendär! Nach langem wieder einmal gehört und bei Youtube sogar das Video dazu gefunden. Und siehe da, wer in diesem 80er Kurzfilm alles auftaucht... Heidi Abel, Beni Turnheer, Peach Weber und viele mehr. A propos viel, viel Spass bei der Zeitreise.