Am 28. November stimmt das Schweizer Volk über die
Ausschaffungs-Initiative der SVP und den Gegenvorschlag ab. Dieser Abstimmungssonntag sorgt im Land schon seit einiger Zeit für viel Zünd. und Gesprächsstoff, die überzeugten Ja-Sager erzählen ihre Version der Geschichte, die ebenso überzeugten Nein-Sager halten ihre Argumente feil. Wie man am Schluss abstimmt, das bleibt - zum Glück -jeder Schweizerin und jedem Schweizer selber überlassen. Ein Hoch auf unsere Demokratie. Trotzdem gehen die Emotionen im Vorfeld der Abstimmung hoch, unlängst hatten wir sogar innerhalb der Familie eine gute Diskussion zum Thema. Das Wort gehört heute den Gegnern zu Initiative und Gegenvorschlag. Second@s Plus
Schweiz setzt sich für ein doppeltes Nein ein. Einer ihrer Vertreter ist Ivica Petrusic: Jahrgang 1977, Sozial- und Jugendarbeiter, SP-Grossrat im Kanton Aargau, Musiker.
Ivica, wo sind die Unterschiede der beiden Vorlagen?
Ivica, wo sind die Unterschiede der beiden Vorlagen?
Unsere Kampagne
haben wir unter dem Slogan: „2x Nein zum Raser und zum Betrüger, Nein zur
Ausschaffungsinitiative und zum Gegenvorschlag“ lanciert. Wir sagen Nein zur
Kriminalität, betonen jedoch, dass keine der beiden Vorlagen eine Lösung im
Bereich der Sicherheits- und Integrationspolitik bietet. Vor allem – und das
ist der wichtigste Aspekt – beide Vorlagen machen keinen Unterschied zwischen
diesen AusländernInnen die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind und
solchen die im erwachsenen Alter in die Schweiz eingewandert sind. Wer in der
Schweiz geboren und/oder aufgewachsen ist, soll auch in der Schweiz bestraft
werden. Die meisten Second@s kennen ihre ursprünglichen Heimatländer
lediglich (falls überhaupt) aus den Ferien. Ihnen sind diese Länder fremd, die Schweiz
ist ihre Heimat. Wegen des strengen Einbürgerungsgesetzes bleiben viele
Jugendliche Ausländer im eigenen Land. Wir züchten also eigene Ausländer die
wir dann (ausser sie spielen dann für unserer U17 Fussballnationalmannschaft) politisch missbrauchen können.
Was stösst dir bei der SVP-Initiative und beim Gegenvorschlag besonders sauer auf?
Sauer – das ist ein
wenig bedenklich – stösst mir bei der SVP nichts mehr auf. Die Zeiten der
Geschmacklosigkeit sind vorbei. Ich rege mich auch nicht mehr darüber auf, dass
Sie keine einzige Lösung im Bericht der Sicherheits- und Integrationspolitik
machen. Sie schüren Ängste und – nun komm ich zum Bedenklichen – die
Bevölkerung spielt mit. Die so tolerante Schweizer Bevölkerung sagt im Jahrestakt Ja zu völkerrechtswidrigen Vorlagen.
Dadurch, dass die anderen Parteien nichts dagegen ausrichten wollen/ können
erscheint das Ganze auch für einen „normalen Bürger“ unbedenklich.
Die SVP ist im
permanenten Wahlkampf – und den betreibt sie seit Jahrzehnten mit Millionen von
Franken und auf dem Rücken von MigrantInnen und Asylsuchenden. Im Wahlkampf
2007 lancierte sie mit einer massiven Plakat- und Inseratekampagne ihre
Ausschaffungsinitiative. Dass bereits nach dem geltenden
Ausländergesetz jährlich Hunderte von straffälligen AusländerInnen ausgeschafft
werden, kümmert sie genauso wenig wie die Tatsache, dass ihre Initiative
völkerrechtswidrig und damit nicht umsetzbar ist.
Die „Parteien der
Mitte“ buhlen mit der SVP um einen Teil am fremdenfeindlichen Wahlkampfkuchen.
Statt die völkerrechtswidrige Ausschaffungsinitiative für ungültig zu erklären
oder wenigstens klar und deutlich nein zu sagen, haben sie deren Forderungen
mit dem Gegenvorschlag nur deren Form nach geändert und in eine Fassung gebracht, die mit dem Völkerrecht
– und das heisst: insbesondere mit dem bilateralen Freizügigkeitsabkommen mit
der EU – vereinbar ist. Als „Zückerchen“ für die Linke wurde dem Gegenvorschlag
ein Integrationsartikel hinzugefügt. Dieser lässt aber das für die Betroffenen
am Wichtigste – die politische Teilhabe – komplett vermissen und ist mehr als
unverbindlich: er belässt seine Umsetzung auf der freiwilligen Ebene der
Kantone.
In der Schweiz gibt es ja schon heute die Möglichkeit,
straffällige Ausländer auszuschaffen. Was denkst du, warum der Ruf nach
verschärftem Vorgehen laut geworden ist und wir am 28. November darüber
abstimmen?
Der Gegenvorschlag
greift eigentlich das bereits geltende Vorgehen auf und möchte es auf
Verfassungsebene verankern. Die Thematik die eigentlich hinter diesen
Vorschlägen die Bevölkerung bewegt, ist eine allgemein herrschenden
Verunsicherung in Europa. Die Globalisierung und gestiegene Mobilität sorgen
heute europaweit für Unsicherheit. Max Frisch hat mal geschrieben: „Wir wollten
Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen“. Die Menschen brachten nicht nur ihr
Arbeitswerkzeug sondern auch ihre Kultur mit. Und vor allem die Menschen sind
geblieben. Um eine Integration hat sich in der Schweiz nie jemand pro-aktiv
gekümmert. Die Menschen (auch heute noch) bleiben, in der Schweiz arbeitend,
doch in vielen Bereichen ausserhalb des Systems. Diese Politik rächt sich nun
nach Jahrzehnten. Die Integrationsbestrebungen des Staates reichen heute nicht
aus um die Fehler der Vergangenheit zu beheben. Die politisch Rechte nutzt
diese Fehler nun aus und macht die Situation mit ihrer einfachen „Sündenbock-
Politik“ (alles schon gehabt in Europa) noch schlimmer.
Welchen Einfluss werden Raser-Geschichten, die Angst vor dem Islam oder gewalttätige Jugendliche auf den Verlauf der Abstimmung haben?
Meine persönliche
Meinung und meine Beobachtung als Jugendarbeiter ist, dass die Zusammenarbeit
zwischen Prävention, Polizei und Strafbehörde nicht gut funktioniert. Zwar ist
die Gewaltentrennung nach wie vor hoch zu halten, die pädagogische Kraft der
Repression bleibt aber weiterhin unterschätzt. Die Menschen verstehen nicht,
warum solche Leute nicht gezielt und viel schneller bestraft werden. Man
rechnet dann ein wenig zusammen, beeinflusst von der SVP-Propaganda und schon
hat man eine einfache Lösung des Problems gefunden. Dazu kommt dass wir
als längst säkularisierte Gesellschaft Probleme mit Menschen die Religion als
absolut und dogmatisch verstehen, haben. Hier müssen, wir konsequet (nicht nur
bei Islam sondern zum Beispiel bei verschiedenen freikirchlichen Bewegungen)
unseren Rechtsstaat verteidigen, für welchen in Europa übrigens sehr viel Blut
vergossen wurde.
Was sagst du gegen die Argumente der Befürworter wie "Ausländer die sich nicht an unsere Regeln halten müssen gehen" oder "Wer das Schweizer Gastrecht missbraucht muss halt die Konsequenzen tragen."?
Grundsätzlich kann
ich mich dieser Meinung anschliessen. Jedoch muss ich die Position der Second@s
Plus nochmals betonen. Wir sind nicht für die Kriminellen sondern dafür, dass
die Menschen die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind auch hier
bestraft werden. Zu dieser Frage kann ich mich also nur wiederholen: Hier geboren – hier geblieben! Die meisten der
allenfalls auszuschaffenden MigrantInnen leben und arbeiten seit Jahren in der
Schweiz oder sind gar hier geboren: Sie sind sogenannte Secondos/Secondas. Dass
sie keinen roten Pass haben macht sie weder zu besseren noch zu schlechteren
Menschen als SchweizerInnen.
Abschliessend, Iviva, warum ein Doppel-Nein am 28. November?
Ob
Ausschaffungsinitiative oder Gegenvorschlag – das Ergebnis wäre in beiden
Fällen das Gleiche: eine Drei-Klassen-Justiz. Für schweizerische Straftäter
würde weiterhin nur das Strafrecht gelten. Für Kriminelle aus der EU gilt das
Freizügigkeitsabkommen: Sie können nur ausgeschafft werden, wenn sie auch nach
ihrer Haft weiterhin schwere Straftaten begehen. Nur die Menschen aus dem Rest
der Welt träfe der neue Verfassungsartikel mit voller Härte. Dazu nochmals die
erwähnte Second@s Problematik. Zu dieser Ungleichberechtigung kann ich nicht
stehen. Vor dem Gesetz müssen alle gleich sein.
Danke für das Gespräch, Ivica.
Und ja, eigentlich wollte ich hier im Blog auch einen Befürworter zu Wort kommen lassen, nur leider hab ich bis zum heutigen Tag kein Antworten auf meine sechs Fragen erhalten... Abschliessend noch ein Hinweis auf eine - in meinen Augen - originelle Aktion. Gut, nicht nur unbedingt was den Inhalt angeht, gut vielmehr die Idee, sich nicht hinter dem Ja - oder in diesem Fall - dem Nein zu verstecken. Oftmals wird in der Schweiz ja sogenannte "Wahlgeheimnis" beschworen, d.h. niemand will so genau sagen für wen er gewählt oder was er abgestimmt hat. Und so wundert es ja manchmal schon ein bisschen, warum eine Initiative abgelehnt oder angenommen wird, obwohl im Ausgang und bei der Arbeit alle erzählen sie hätten - wie die Lemminge - XY gestimmt. Also, her mit euren Visagen, mehr zur Aktion: "NEIN NEIN - Ich zeige mein Gesicht und stimme am 28.11.2010 2 x NEIN!" Und bevor ihr nun - hoffentlich einen Kommentar zum Thema dieser Abstimmung hinterlasst denkt daran, wir leben in einer Demokratie und jeder darf seine eigene Meinung haben, ohne dass er sich dafür Beleidigungen anhören muss (Erfahrungswerte im Blog...): Respekt!
Danke für das Gespräch, Ivica.
Und ja, eigentlich wollte ich hier im Blog auch einen Befürworter zu Wort kommen lassen, nur leider hab ich bis zum heutigen Tag kein Antworten auf meine sechs Fragen erhalten... Abschliessend noch ein Hinweis auf eine - in meinen Augen - originelle Aktion. Gut, nicht nur unbedingt was den Inhalt angeht, gut vielmehr die Idee, sich nicht hinter dem Ja - oder in diesem Fall - dem Nein zu verstecken. Oftmals wird in der Schweiz ja sogenannte "Wahlgeheimnis" beschworen, d.h. niemand will so genau sagen für wen er gewählt oder was er abgestimmt hat. Und so wundert es ja manchmal schon ein bisschen, warum eine Initiative abgelehnt oder angenommen wird, obwohl im Ausgang und bei der Arbeit alle erzählen sie hätten - wie die Lemminge - XY gestimmt. Also, her mit euren Visagen, mehr zur Aktion: "NEIN NEIN - Ich zeige mein Gesicht und stimme am 28.11.2010 2 x NEIN!" Und bevor ihr nun - hoffentlich einen Kommentar zum Thema dieser Abstimmung hinterlasst denkt daran, wir leben in einer Demokratie und jeder darf seine eigene Meinung haben, ohne dass er sich dafür Beleidigungen anhören muss (Erfahrungswerte im Blog...): Respekt!
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