22. Januar 2011

Dschungelcamp Halbzeit: Froonck ist raus!

Mögen moralisch einwandfreie TV-Konsumenten auch den Zeigefinger heben und die Köpfe schütteln: Aus fachlicher Distanz betrachtet ist das "Dschungelcamp" von Grundy Light Entertainment für Formate dieser Liga erstklassig und mit viel Arbeit produziert. Nimmt man Regie, Kamera, Aufnahmeleitung, Ton hinzu, findet man fachlich Leistungen am oberen Rand des Spektrums. Auf diesem Niveau – täglich – zu produzieren, ist geballte und hochprofessionelle Leistung eines gesamten Teams innerhalb einer 16-tägigen Hochdruck-Situation. Völlig unabhängig von einer Diskussion etwaiger, moralischer Aspekte muss man das nach der ersten Woche neidlos anerkennen. Die eigentlichen Stars, Zietlow und Bach, sind in dieser Kombination Benchmark: böse, auf den Punkt, mit hervorragenden Texten, mit ätzendem Sarkasmus, einer Portion Selbstironie und sichtbarem Comedy-Potential.

Die Dynamik wird zusätzlich dadurch verschärft, dass Künstler oder Ex-Stars im TV jene Stärken, die sie einmal erfolgreich gemacht haben, nicht zwangsläufig im Bereich sozial-kooperativer Kompetenzen aufweisen. Im gedachten Extremfall also muss eine Ansammlung von sozial armseligen Individualisten ein gewähltes Zusammenleben unter Extrembedingungen bestreiten: in Kontakt zu Leidensgenossen und “Teammitgliedern“, die sich niemand selbst ausgesucht hat. Das ist nicht leicht – trotz Kontakt zum Produktionsteam oder zum anwesenden Psychologen. Und seit gestern Abend kommt noch ein Aspekt dazu, die Kandidaten werden von den Zuschauern abgewählt. Wer bleibt drin? Wer muss raus? Eine korrigierte Prognose, nach einer Woche Bootcamp.

Jay Khan: Zu Beginn auf Sixpack und Körperliches reduziert. In der aktuellen Campertruppe einer der ersten, der Werte von Teamgeist, Verantwortung und Offenheit für sich reklamierte. Khan bietet Potenzial für weitere Aufmerksamkeit: Nicht nur wegen seines Teamgeistes, sondern auch, weil er erotisch von der Sportskameradin Indira umworben wird und Zuschauer mit hoher Wahrscheinlichkeit Interesse an weiterem Informationsgewinn auch zu diesem Thema aufweisen. Wahrscheinlich niemand, der schnell ausscheidet. Vielleicht sogar einer der Favoriten.

Indira Weis: Brust und Bootcamp. Die süsse Sängerin wirkt eher integrativ und ist alleine wegen ihrer begonnenen Avancen Jay Khan gegenüber aktuell keine Kandidatin für frühes Ausscheiden. Der Busen-Bonus hilft bei männlich digitalen Zuschauern. Indira bietet – über Jay hinaus – künftigen Unterhaltungswert auch in möglichen Konflikten mit Sarah Knappik ("Sarah Dingens"). In dieser Frage scheint die letzte Messe noch nicht gelesen. Ein Ausscheiden von Weis wird wahrscheinlich, wenn die Anzahl der Camp-Kumpels abnimmt und ein wenig Langeweile einkehrt. Dann könnte eine – zuschauerseitig aggressive – Trennung des Paares Jay/Indira neues Leben ins Format blasen.

Rainer Langhans: Aufsichtsrat der Truppe. Untouchable. Schrill, mit rosa Slip und Kopfstandbank am Gruppenrand. Langhans hat spürbare Autorität, ohne sie unangenehm zu nutzen. Der Mann mit solidem Anpassungswiderstand und prinzipieller Neigung zum Widerspruch ist ein Fossil. Und ein Glück für die diesjährigen Geschäftsergebnisse von Kopfstandbankproduzenten. Ein früher Rausschmiss scheint unwahrscheinlich. Langhans ist Geheimfavorit: Allein die Vorstellung, in welcher Art ein Langhans nach Ende des Camps auf dem Thron des Dschungelkönigs sitzt, macht Vergnügen. Das trüge Spuren eines Reich-Ranicki in integrierter Form. Außerdem: Irgendwie gönnt man ihm die Kohle der folgenden, bezahlten Auftritte in Talk-Shows als Meilensteine auf dem Weg eines ansatzweise konvertierten Alt-68ers.

Eva Jacob: Die 1943 geborene Eva Jacob wirkt impulsgesteuert und verpeilt. Ein durch die Zuschauer-Votings nahendes Ende ihres Engagements scheint deshalb wahrscheinlich, weil eine weitere Annäherung an Grenzen psychischer Leistungsfähigkeit bei ihr vielleicht die nachhaltigsten Einschnitte hervorriefe. Es wird der Punkt kommen, wo Zuschauer sie durch ihren Anruf vor sich selbst schützen.

Katy "Walter" Karrenbauer: Die Frau mit unscharfem Profil ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Sympathieträger. Zu unpräzise switcht Karrenbauer zwischen dem Rollenprofil der markigen Knast-Else in unglaubwürdig-klebrige, pseudosoziale Unterstützerrollen, um dann wieder hinter dem Rücken anderer abzulästern. Eher eine Kandidatin für schnelles Ausscheiden im ersten Drittel der Selektionsphase.

Mathieu Carrière: Aus Karrenbauer-Gründen kein Favorit. Carrière fehlt es an Prägnanz, Klarheit und Glaubwürdigkeit. So bleibt stets diffus, welcher seiner – partiell markigen – Sprüche inszeniert ist. Das professionell deformierte Heuchel-Wunder mit fragmentiertem Sympathiefaktor hat eher geringe Chancen auf die Zielgerade.

Sarah Knappik (“Sarah Dingens“): Angebliche Vegetarierin - siehe Foto. Keine Narzisstin, sondern eher eine Verwöhnte mit soziopathischen Facetten. Auf Deutsch: Die können irgendwie nicht so richtig mit anderen. Die pussierliche, blonde Zeitbombe mit dem abenteuerlichen Realitätsbezug bindet allerdings jede Menge Zuschauer-Energie. Physikalisch betrachtet, spricht also wenig für einen schnellen Rausschmiss: 80% des Unterhaltungswertes gibt man als Zuschauer durch vorschnelle Sarah-Anrufe schon deshalb nicht auf, weil man sich ungern den Dschungel-Abend selbst zerbröselt. Je nach Entwicklung bleibt Knappik vielleicht lange dabei und gehört – unter bestimmten Voraussetzungen – sogar zum erweiterten Favoritenkreis.

Und dann gibts "die Gruppe der Hutständer": Es ist ein Phänomen, mit wie wenig Einsatz man bei RTL ca. 50.000 Euro verdienen kann. Entsprechend musste gestern Froonck das Quartier verlassen. Farblosigkeit innerhalb eines Unterhaltungsformates ist unverzeihbar. Selbst ein Hydrant an der Strasse hat mehr Ausstrahlung als Peer Kusmagk, Thomas Rupprath und Gitta Saxx.

Und sonst? Die mediale Öffentlichkeit ist zwischen Berichterstattung und Trittbrettfahrerei Teil des Systems. Selbst beim ZDF-Markus Lanz hielt der Dschungel thematisch für zwei Talk-Shows mit Ex-Kandidaten und abenteuerlichen Experten her. Heute wird im Camp die Selektionsphase eröffnet. Der Zuschauer entscheidet. Panem et circenses. Innerhalb der nächsten Tage wird es leerer werden im Camp. Leiser wird es zunächst nicht. Hutständer verursachen keinen Lärm.


Quelle: Christopher Lesko, Meedia

21. Januar 2011

Die 6. Brust OP war für Cora eine zu viel

Neben dem Dschungelcamp kannte die deutsche Bildzeitung in den letzten Tagen nur ein Boulevard-Thema: "Sexy Cora im Koma!" Gestern um 14.30 Uhr starb die junge Frau, die bürgerlich Carolin Wosnitza hiess, in der Hamburger Uni-Klinik. Neun Tage lag die Pornodarstellerin nach einer missglückten Brustvergrösserung im Koma. Ihrer sechsten Vergrösserung, sollte man an dieser Stelle vielleicht noch erwähnen.

Carolin Wosnitza wurde 1987 geboren, wuchs in Berlin-Pankow auf. Drei Jahre lang drehte sie als „Sexy Cora“ harte Pornofilme fürs Internet. Im Januar 2010 wurde sie einem breiteren Publikum bekannt, als sie bei „Big Brother“ einzog. Seitdem war Cora über ihre Webseite als Cam-Girl im Einsatz und bot ihrer Kundschaft gegen Geld private Sexshows. Ebenso konnte man ihr Leben über Twitter verfolgen, da war kurz vor der OP noch von einer Urlaubsreise zu lesen und auch ihren Hund zeigte sie ihren Followern immer wieder gerne. Dazu war sie ein Fan des FC St. Pauli. So gesehen, eigentlich eine ganz normale junge Frau. Wären da nicht die riesigen Brüste gewesen. Immer und immer wieder liess sie nachlegen. Zuletzt hatte Cora geplant, sich ihren Busenumfang von Körbchengrösse F auf G zu erweitern. 


Bloss, so einfach war das scheinbar nicht. Immerhin hatte eine Privatklinik in Polen zuvor Cora abgewiesen, mit dem Hinweis dass der Eingriff zu gefährlich sei für ihren doch zierlichen Körper. Aber wie es so ist, es gibt immer einen der es macht - sofern die Kohle stimmt. Und siehe da, in der Hamburger Alster-Klinik wurde die 23jährige fündig und legte sich unters Messer. Schönheitschirurg Martin K. aber operierte. Mit fatalen Folgen. Kurz nach Einleiten der Narkose blieb ihr Herz stehen. Coras Gehirn blieb minutenlang ohne Sauerstoff. Der Staatsanwalt ermittelt inzwischen gegen Martin K. und seine Anästhesistin wegen Verdacht auf fahrlässigen Tötung und hat eine Obduktion angeordnet.

Im Normalfall reagiert die von Sensationen getriebene Gesellschaft heutzutage mit grosser und flächendeckenden Betroffenheit auf solche Nachrichten. Irgendwie werd ich den Eindruck nicht los, dass das im Fall Cora etwas anders ist. Vielmehr werden Fragen gestellt oder zumindest ich stelle mir Fragen. Der Tod der jungen C-Promifrau wirft ein dunkles Licht auf die TV-Trash-Branche. Wie weit sind Privatfernseh-Bekanntheiten und Protagonisten des Reality-TV bereit zu gehen, um Aufmerksamkeit für sich und ihren Körper zu erlangen? Welche Gefahren nehmen sie dafür auf sich? Inwiefern sind Sendungen wie "Bauer sucht Frau", "DSDS", "Big Brother" und Co. schuld an einem solchen Schicksal, in dem sie ihren Darstellern das Gefühl geben, sie wären prominent und wichtig? Oder wie sonst liesse sich die Aussage von Cora "Mein Körper ist mein Kapital" sonst deuten? Die Frau war Erotikdarstellerin, vor Big Brother kannte sie kaum jemand, im Herbst letzten Jahres wurde sie auf der Sexmesse Venus in Berlin zur besten Amateurdarstellerin gewählt. Danach wurde es ruhig um Cora, irgendwie wundert es mich dann nicht, dass sie mit einer erneuten OP ihrer Karriere noch einmal auf die Sprünge helfen wollte...

Nun ist sie verstorben. Der Fall erinnert mich irgendwie an Lolo Ferrari, auch ihr wurden ihre grossen Brüste zum Verhängnis. Auch damals diskutierte man öffentlich über Sinn und Unsinn von Schönheitsoperationen. Hat sich was geändert? Nö. Zahlreiche Promi-Frauen haben es ja auch getan und die Männer stehen - angeblich - auf grosse Brüste. Und solange Dumpfbacken wie Gina-Lisa Lohfink oder die Katzenberger durch die Boulevard-Magazine der Privatsender geschleppt werden, dürfte sich so manch junges Mädchen denken, dass Erfolg über grosse Hupen führt! Verrückte (kranke?) Welt... Free Rainer! RIP Cora.

20. Januar 2011

Marseille, der geilste Club der Welt

Ja klar, diese Ausssage beruht natürlich auf der Euphorie, dass sich Olympique de Marseille gestern Abend für das Finale des Coupe de la Ligue im Stade de France qualifiziert hat. In Paris übrigens, der meist gehassten Stadt für jeden OM-Fan. Okay, es ist "nur" der Ligacup. Nach der Meisterschaft und dem Coupe de France der drittwichtigste Wettbewerb im französischen Fussball. Aber egal, immerhin ist Marseille Titelverteidiger und das Spiel im grössten Stadion Frankreichs wird am 23. April mit weit über 70'000 Fans ausverkauft sein. Und schliesslich ermöglicht ein Pokalsieg den direkten Einzug in die Euroliga - sofern es mit der Champions League nicht klappen sollte. 


Das tolle an diesem Sieg von gestern Abend ist ja, dass er mal wieder typisch war für OM-Verhältnisse. Noch vor 10 Tagen ist man im französischen Cup gegen Evian ausgeschieden. Ja genau, das Evian das eher für Mineralwasser denn für Fussball bekannt ist. Spott und Häme liessen natürlich nicht lange auf sich warten, der Meister 2010, Ligacup- und Supercupgewinner, CL-Teilnehmer verliert gegen die Amateure vom Genfersee. In Marseille selber gab man erst einmal dem schlechten Platz schuld und danach den Spielern. Allen voran rückten Gignac und Brandao in die Kritik der Fans. Und wer die OM-Fans (und Medien) kennt weiss, da geht man nicht gerade zimperlich um mit den Akteuren. Aber, beide Stürmer haben bis dahin wirklich schlecht ausgesehen, je 1 Tor seit Beginn der Saison. Das ist nicht viel, vorallem wenn man bedenkt mit welchen Vorschusslorbeeren Gignac im Vélodrôme angekommen ist.

Nun gut, eine Woche Schelte vom allerfeinsten und am Sonntag ging es dann weiter in der Liga. Zu Gast war Bordeaux, ein durchaus starker Konkurrent. Und wer schoss die Tore zum Sieg? Genau, Gignac und Brandao. Auf einmal wurden sie von den Fans (und den Medien) wieder geliebt und auf Händen getragen. So sehr, dass sie Trainer Deschamps gestern in die Startelf berufen hat. Das Halbfinale gegen Auxerre (mit dem Schweizer Grichting) ging mit 2 zu 0 Toren zu Gunsten von Marseille aus. Und wer schoss die beiden Tore? Genau, Gignac und Brandao. Die einzigartige OM-Fankultur feiert zwei neue Helden, nachdem Brandao vor der Winterpause noch beinahe nach Elba verbannt worden wäre...

Genau das ist Marseille. Steiler Aufstieg, tiefer Fall. Das zieht sich durch die Clubhistorie seit der Gründung im Jahre 1899. An welcher übrigens ein Schweizer nicht ganz "unschuldig" war, genau wie zu einem späteren Zeitpunkt mit Jean-Pierre Egger oder Robert Louis Dreyfus immer wieder Eidgenossen im OM-Boot sassen. Aber eben, das ewige Auf und Ab charakterisiert den Club aus der Mittelmeer-Metropole. Als ich Mitte der 90er Jahre in MRS gewohnt habe, da wurde man gerade zwangsrelegiert - als Champions League Sieger. Der nationale Meistertitel wurde OM wegen Bestechung aberkannt, den internationalen Titel durfte man behalten. Obwohl sich bis heute hartnäckige Gerüchte halten, die Mannschaft sei gegen Milan gedopt gewesen. Rudi Völler und Tony Cascarino brachten als ehemalige Spieler selber entsprechende Gerüchte in Umlauf. Überhaupt sieht man in Marseille gern die ganz grossen Namen im hellblauweissen Maillot. Ein paar Beispiele gefällig? Bitte sehr, schön nach Alphabet.

- Klaus Allofs
- Gunnar Andersson
- Fabien Barthez
- Franz Beckenbauer
- Laurent Blanc
- Alan Boksic
- Eric Cantona
- Djibril Cissé
- Marcel Desailly
- Didier Deschamps
- Didier Drogba
- Christophe Dugarry
- Kalle Förster
- Erik Gerets
- Raymond Goethals
- Andy Köpke
- Frank LeBoeuf
- Samir Nasri
- JPP
- Robert Pires
- Fabrizio Ravanelli
- Franck Ribéry
- Jean Tigana
- Rudi Völler
- Chris Waddle
- George Weah

Aus all diesen Spielern liesse sich auch locker eine Jahrhundertelf basteln. Nur, häufig hatten sie während ihrer Marseille-Zeit gerade keine Lust, waren verletzt oder noch vor dem grossen Durchbruch. Entsprechend ging in den 90er Jahren in Sachen Titel so ziemlich gar nichts. Erst 2006 durfte man wieder einen - immerhin - Vizemeister-Titel feiern und konnte sich international zeigen. Ich erinnere mich dabei gerne an die Auftritte in Bern gegen YB. Auch im neuen Jahrhundert gabs Skandälchen, so mussten ein paar Angestellte hinter Gitter, nachdem bekannt wurde, dass Sozialabgaben für Spieler nicht bezahlt wurden. Nun, um es kurz zu machen: erst im letzten Jahr kamen die sichtbaren Erfolge zurück. Gleich 3 Titel konnte man einheimsen und in der Champions League ist Marseille auch immer noch dabei - auch wenn mit Manchester United in der nächsten Runde ein grosser Brocken wartet.  


Leider liegt es für mich nicht wirklich drin, Woche für Woche nach Frankreich zu den Spielen zu fahren. Ein, zwei Partien live pro Jahr müssen da reichen, mit etwas Glück ist es bald wieder soweit!! Aber dank Teleclub/Canal +, kombiniert mit den Social Media-Plattformen wie Twitter oder Facebook, kommt auch in der eigenen Stube immer mal wieder eine Art Live-Feeling auf. Zudem lassen sich übers WWW Kontakte nach Marseille pflegen, was durchaus nützlich ist, wenn ich mal wieder inmitten des Commando Ultra ein Spiel schauen möchte... Nach Umfragen ist OM in Frankreich - mit grossem Abstand - immer noch der beliebteste Sportclub überhaupt, entsprechend findet man online viele gleichgesinnte Fans, die auch nicht Woche für Woche zu den Glücklichen gehören, die Einlass ins Vélo' gefunden haben. Überhaupt muss man, wenn man gaaaaaaanz ehrlich ist, ja zugeben, dass die OM-Fans entweder alles Masochisten sind oder dann unter manischen Depressionen leiden. Denn anders wäre dieses Wellental der Gefühle gar nicht auszuhalten. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Innerhalb weniger Tage oder gar Stunden ist in der Mittelmeer-Metropole alles möglich. Und weil heute nach der Final-Qualifikation einer der gute Tage ist ein kräftiges:
Allez l'OM, à la vie et à la mort!

19. Januar 2011

Aufruhr im WWW: Agentur pfändet Blog!

Im Netz herrscht Krieg. Es geht um den deutschen Blog Nerdcore.de, er war bislang die Nummer zwei in der deutschsprachigen Blog-Landschaft. Seit gestern ist das Webjournal von Blogger René Walter jedoch nicht mehr erreichbar. Der Berliner ist einer von wenigen hauptberuflichen deutschen Blogger oder besser war. Denn er musste die erfolgreiche Domain an die Internetagentur Euroweb abtreten. Sprich, sein Blog wurde von der Firma kurzerhand gepfändet nachdem Walter die Kosten eines verloren Abmahn-Prozesses nicht tragen konnte oder wollte. Euroweb will die URL nun bei Ebay versteigern und das Geld spenden - nur, die Kohle will eigentlich gar niemand.


Ich probiere den Fall kurz zusammenzufassen: Der Blogger René Walter hat 2006 eine Präsentation des Web-Unternehmens Euroweb Group gesehen und danach in seinem Blog kräftig darüber gepoltert. Er schrieb unter anderem, dass sich die Düsseldorfer Firma "mit Dreck eine goldene Nase verdienen" würde. Weiter fielen nette Worte wie "Schrott" oder "minderwertig". Für diese Äusserungen mahnte Euroweb den Blogger ab, dieser reagierte jedoch nicht. Der Abmahnung folgte im August 2010 ein Urteil vor dem Landgericht Berlin, um das sich Walter offenbar auch nicht kümmerte. Das Ende der Geschichte, die Web-Adresse wurde gepfändet und am Weekend stillgelegt.

Wer mehr über den äusserst brisanten Fall wissen will, dem empfehle ich die Berichterstattung von Netzpolitik. Da gibt es nicht nur regelmässige Uptdates von Anwälten oder Bloggern, sondern auch eine Stellungnahme der Euroweb Group. Aktuell ist also Nerdcore offiziell nicht zu erreichen, die Seite soll aber umgehend mit dem folgenden Text wieder aufgeschaltet werden: 

"Das Blog Nerdcore.de ist nun nicht mehr erreichbar. Nachdem die Kosten eines gegen Euroweb verlorenen Prozesses durch den Kostenschuldner nicht innerhalb angemessener Frist erstattet wurden, hat Euroweb statt der Kosten nunmehr die Domain Nerdcore rechtmäßig im Rahmen der Zwangsvollstreckung übertragen bekommen."

Euroweb willl die URL nun über Ebay versteigern und - nachdem die eigenen Kosten gedeckt wurden - den Restbetrag spenden. Zwei Empfänger wurden dazu bereits bestimmt, nur, beide sträuben sich dagegen dieses "dreckige Geld" anzunehmen. So gibts bei Wikipedia bereits eine Unterschriftensammlung, welche sich gegen die Spende ausspricht. Die Bloggerszene ist in Aufruhr, auf den Ausgang der Geschichte darf man gespannt sein. Der betroffene Blogger selber hat in der Zwischenzeit über seinen Twitter-Account vermeldet, dass Euroweb recht habe und "alles justiziabel" sei - gleichzeitig ging sein Nerdcore-Blog über eine Alternative-Adresse in abgespeckter Version wieder online.

Nun, was soll ich sagen? In meinen Augen wurde da einmal mehr mit Kanonenkugeln auf Spatzen geschossen. Klar, ich muss mir auch häufig hinter die Ohren schreiben, dass ich im Blog nicht den falschen Ton wählen soll. Obwohl es mir ebenfalls ab und an darum wäre, mal so richtig Dampf abzulassen. Aber, der Blog wird gelesen und - analog einer Zeitung - das geschriebene Wort (im Falle von Beschimpfungen) kann durchaus auch gegen den Verfasser verwendet werden. Das Beispiel der Cablecom/Intrum-Geschichte von gestern zeigt übrigens deutlich auf, wie der soziale Stellenwert der Onlinemedien ist: Cablecom hat sich noch gestern telefonisch gemeldet und wir werden heute - hoffentlich - eine Einigung finden. 

Gleichzeitig frage ich mich aber, wie frei ist man denn als Blogger überhaupt noch im Jahre 2011? Wer Euroweb googelt wird feststellen, dass die Firma in ganz Deutschland gegen eine Vielzahl von Klagen ankämpft. Diese Pfändungsaktion dürfte also durchaus auch eine Flucht nach vorne gewesen sein. Aber in diese Story will ich mich auch gar nicht einmischen. Vielmehr erinnert sie mich an eine Abmahnung die ich vor ein paar Jahren erhalten habe, von einem Anwalt als München. Damals hab ich seinen Mandanten, einen Schauspieler, als Koksnase bezeichnet und "schwupps" hatte ich böse Post im - realen - Briefkasten. Long times ago, denn inzwischen ist die grosse Blog-Blase geplatzt, der Trend ist vorbei und nur die ausdauernden Blogger erfreuen ihre Leserschaft noch Tag für Tag mit neuen Geschichten. Ansonsten gibts endlos viele Text-Friedhöfe... Es vergeht aber trotzdem keine Woche, in welcher sich nicht ein Blogger für ein Foto oder einen Beitrag rechtfertigen muss. Vielleicht sollten sich die Firmen, ihre Mediensprecher, Vereinsfunktionäre, Politiker oder Popsternchen einfach wieder einmal klar machen, was ein Blog eigentlich ist: ein Weblog, sprich ein Netz-Tagebuch - öffentlich zugänglich zwar, aber durchaus privat geführt. So gesehen würde gesunder Menschenverstand und etwas Toleranz - beiden Seiten! - vielleicht so manchen Streit im Keim ersticken und unsere Gerichte könnten sich um die wirklichen Probleme kümmern....

18. Januar 2011

Dank Cablecom in den Fängen der Justitia

Wer nach "Intrum Justitia" oder "Cablecom Probleme" googelt, der kriegt Lesestoff für die nächsten 5 Jahre. 24 Stunden pro Tag. Nur wenig überrascht dabei, dass die ersten Beiträge zu den Suchbegriffen dann vom "Kassensturz" oder vom Konsumentenforum stammen, denn das ist - wie ich gerade selber erfahre - kein Zufall. Genau wie vor einiger Zeit der BloggingTom schlage ich mich aktuell mit einer unangenehmen und vorallem ungerechtfertigen Forderung der Geldeintreiber aus Schwerzenbach herum. Aber fangen wir die Geschichte von vorne an.


Die Intrum Justitia treibt für Firmen Schulden ein, in meinem Fall für die Cablecom. Die Cablecom will von mir Geld für einen Internetanschluss den ich nie hatte. Irgendwie stimmt  darum weder die Rechnungsadresse noch der Zeitraum für diese Verrechnung überein. Ich habe in diesem Zeitraum nicht an dieser Adresse gewohnt und hatte auch keinen Internetanschluss bei Cablecom - Swisscom war mein Provider. Nun, beim ersten Schreiben der Irrtum Intrum Justitia habe ich gedacht, es sei ein Fehler, eine Verwechslung, jemand anders im Haus oder einfach ein anderer Fischer. Gibts ja so einige. Immerhin hat es die Cablecom auch schon geschafft, mich und meinen Vater - obwohl wir nicht am gleichen Ort wohnen - zu verwechseln. Nun, die Rechnung wurde retourniert, mit der Bemerkung, dass da wohl eine Verwechslung vorliege. 

Über Wochen, ja Monate war Ruhe, für mich war der Fall erledigt. Inzwischen hatte ich auch meinen TV-Anschluss bei Cablecom gekündigt und war also gar kein Kunde mehr der Firma. Nur, da hatte ich die Rechnung wohl ohne die Buchhaltung der Cablecom gemacht. Auf einmal kam wieder ein Brief der Intrum Justitia, mit der - diesmal schärfer formulierten - Aufforderung, ich hätte den Betrag vom Internetanschluss zu begleichen. Okay, Anruf nach Schwerzenbach und das Problem erklären. Die Frau am anderen Ende sprach leider nicht so ganz meine Sprache und verstand sie vorallem nicht wirklich. Auf einmal war sie dann auch weg, ohne Tschüss zu sagen. Gut, Anruf bei Cablecom. Da hatte ich Frau C (Name sauber notiert) am Telefon, sie bestätigte mir, dass es sich um einen Irrtum handeln müsse. Bei ihr wären alle Rechnungen beglichen und sie sehe vorallem, dass ich zu der entsprechenden Zeit gar nicht an dieser Adresse gewohnt habe. Bemerkbar mache sich dies dadurch, dass auf meine eigentliche Wohnadresse ja ein  TV-Anschluss angemeldet war und auch das Geburtsdatum ein falsches sei... Gut, ich bat sie, mir dies schriftlich zu bestätigen und die Intrum zu informieren. 

Warten war angesagt. Es folgte - natürlich - kein Schreiben von der Cablecom. Aber auch die Intrum Justitia meldete sich über Monate nicht mehr. Noch einmal dachte ich: Fall erledigt. Aaaaaber, Justitia Inkasso treibt nicht nur Schulden ein, die "Kunden" werden auch in einer riesigen Sündendatenbank registriert - deren Daten werden dann verkauft.  Zum Beispiel an TeleData. Es kam also der Tag, an welchem ich im Internet etwas bestellen wollte, auf Rechnung. Ging nicht und auf Nachfrage wurde mir dann gesagt, ich hätte einen Eintrag unter "Vorrechtliche Inkassodaten". Also hätte ich keinen Kredit mehr bei ihnen.  Super, im Internet entsteht also innert kurzer Zeit eine Fiche, welche nicht nur falsche Daten sammelt, sondern diese auch noch weiterverbreitet. Wiederum war also meine Aktion gefordert - und das, obwohl es mich ja gar nicht betrifft, sondern irgendeinenen Fischer. Bei Intrum Justitia im zürcherischen Schwerzenbach sind immerhin sage und schreibe über 6 Millionen Privatpersonen und Firmen registriert.

Nun, wie ging es weiter? Um die Geschichte zu verkürzen. Ich habe inzwischen so ziemlich alles unternommen, um die Intrum Justitia von seiner Unschuld zu überzeugen. Trotzdem wird mir sogar eine Betreibung angedroht. Nicht nur per Briefpost, nein auch mit "freundlichen" SMS rückt einem diese tolle Firma auf den Pelz. Um Weihnachten herum habe ich aber angefangen, mal etwas zu recherchieren und mein Umfeld zu befragen. Und siehe da, Intrum Justitia und Cablecom wildern auch da. Gleich drei Personen konnten mir das ganz genau gleiche Vorgehen bestätigen. Ungerechtfertigte,oder besser gesagt vielleicht, rein zufällig ausgestellte Mahnungen im Bezug auf uralte Rechnungen. Und dann wird Druck ausgeübt, bis der Mandant eingeschüchtert werden konnte. Wer im Internet nach Erfahrungen diesbezüglich sucht, findet hunderte Einträge. Auch der Kassensturz oder das Konsumentenvorgehen warnen davor, sich einschüchtern zu lassen. Es scheint also, als habe dieses Vorgehen System. 

Die Frage ist jetzt, wie weiter? Es gibt verschiedene Lösungsansätze - vorallem im Netz findet man viele Tipps. So weit wie zum Beispiel der BloggingTom möchte ich nicht gehen, er hat sich mit dem Cablecom-Chef himself getroffen und ihm das Problem geschildert. Ein befreundetes Pärchen hat den CAP-Rechtsschutz eingeschaltet, wieder andere verärgerte Kunden gingen über einen Anwalt. Und auch der Kassensturz hat schon häufiger erste Hilfe geleistet. Unser oberster Datenschützer Hanspeter Thür ist zwar ein Aarauer und man sieht ihn häufiger in der Stadt, aber ich denke auch das ist nicht der richtige Weg. Obwohl er bestätigt: "Es ist ein klarer Verstoss gegen das Datenschutzgesetz. Das Gesetz schreibt ganz klar, vor, wer Daten bearbeitet, ist verpflichtet dafür zu sorgen, dass die Daten richtig sind".
 
Intrum Justitia schüchtert Konsumenten ein, belästigt angebliche Schuldner mit Telefonanrufen, Mails, SMS und registriert diese erwiesenermassen zu Unrecht in einer Schuldnerdatenbank. Bloss, davon wusste kaum jemand etwas, weil es den meisten Leuten peinlich ist über Schulden und Betreibungen zu reden. Doch damit ist nun Schluss! Ich nutze die Chance des kleine Mannes: Da ich weiss, dass der Bot der Cablecom regelmässig hier auf meiner Seite vorbeischaut, hoffe ich einfach mal auf eine Reaktion. Parallel gibts einen eingeschriebenen Brief, sowohl für die Cablecom als auch für den Regional Managing Director, der Intrum, Thomas Hutter (Bild). Und falls das auch nichts nützten sollte, geht das Dossier halt auch an die Anwältin - obwohl die Kosten dafür vermutlich höher sind als der Schuldenbetrag. Aber es kann nicht sein, dass wir zahlungsfreundigen Schweizer uns beugen vor einer Firma, deren Machenschaften nicht wirklich durchschaubar sind und vorallem auf Fehlinformationen beruhen.