Im Netz herrscht Krieg. Es geht um den deutschen Blog Nerdcore.de, er war bislang die Nummer zwei in der deutschsprachigen Blog-Landschaft. Seit gestern ist das Webjournal von Blogger René Walter jedoch nicht mehr erreichbar. Der Berliner ist einer von wenigen hauptberuflichen deutschen Blogger oder besser war. Denn er musste die erfolgreiche Domain an die Internetagentur Euroweb abtreten. Sprich, sein Blog wurde von der Firma kurzerhand gepfändet nachdem Walter die Kosten eines verloren Abmahn-Prozesses nicht tragen konnte oder wollte. Euroweb will die URL nun bei Ebay versteigern und das Geld spenden - nur, die Kohle will eigentlich gar niemand.
Ich probiere den Fall kurz zusammenzufassen: Der Blogger René Walter hat 2006 eine Präsentation des Web-Unternehmens Euroweb Group gesehen und danach in seinem Blog kräftig darüber gepoltert. Er schrieb unter anderem, dass sich die Düsseldorfer Firma "mit Dreck eine goldene Nase verdienen" würde. Weiter fielen nette Worte wie "Schrott" oder "minderwertig". Für diese Äusserungen mahnte Euroweb den Blogger ab, dieser reagierte jedoch nicht. Der Abmahnung folgte im August 2010 ein Urteil vor dem Landgericht Berlin, um das sich Walter offenbar auch nicht kümmerte. Das Ende der Geschichte, die Web-Adresse wurde gepfändet und am Weekend stillgelegt.
Wer mehr über den äusserst brisanten Fall wissen will, dem empfehle ich die Berichterstattung von Netzpolitik. Da gibt es nicht nur regelmässige Uptdates von Anwälten oder Bloggern, sondern auch eine Stellungnahme der Euroweb Group. Aktuell ist also Nerdcore offiziell nicht zu erreichen, die Seite soll aber umgehend mit dem folgenden Text wieder aufgeschaltet werden:
"Das Blog Nerdcore.de ist nun nicht mehr erreichbar. Nachdem die Kosten eines gegen Euroweb verlorenen Prozesses durch den Kostenschuldner nicht innerhalb angemessener Frist erstattet wurden, hat Euroweb statt der Kosten nunmehr die Domain Nerdcore rechtmäßig im Rahmen der Zwangsvollstreckung übertragen bekommen."
Euroweb willl die URL nun über Ebay versteigern und - nachdem die eigenen Kosten gedeckt wurden - den Restbetrag spenden. Zwei Empfänger wurden dazu bereits bestimmt, nur, beide sträuben sich dagegen dieses "dreckige Geld" anzunehmen. So gibts bei Wikipedia bereits eine Unterschriftensammlung, welche sich gegen die Spende ausspricht. Die Bloggerszene ist in Aufruhr, auf den Ausgang der Geschichte darf man gespannt sein. Der betroffene Blogger selber hat in der Zwischenzeit über seinen Twitter-Account vermeldet, dass Euroweb recht habe und "alles justiziabel" sei - gleichzeitig ging sein Nerdcore-Blog über eine Alternative-Adresse in abgespeckter Version wieder online.
Nun, was soll ich sagen? In meinen Augen wurde da einmal mehr mit Kanonenkugeln auf Spatzen geschossen. Klar, ich muss mir auch häufig hinter die Ohren schreiben, dass ich im Blog nicht den falschen Ton wählen soll. Obwohl es mir ebenfalls ab und an darum wäre, mal so richtig Dampf abzulassen. Aber, der Blog wird gelesen und - analog einer Zeitung - das geschriebene Wort (im Falle von Beschimpfungen) kann durchaus auch gegen den Verfasser verwendet werden. Das Beispiel der Cablecom/Intrum-Geschichte von gestern zeigt übrigens deutlich auf, wie der soziale Stellenwert der Onlinemedien ist: Cablecom hat sich noch gestern telefonisch gemeldet und wir werden heute - hoffentlich - eine Einigung finden.
Gleichzeitig frage ich mich aber, wie frei ist man denn als Blogger überhaupt noch im Jahre 2011? Wer Euroweb googelt wird feststellen, dass die Firma in ganz Deutschland gegen eine Vielzahl von Klagen ankämpft. Diese Pfändungsaktion dürfte also durchaus auch eine Flucht nach vorne gewesen sein. Aber in diese Story will ich mich auch gar nicht einmischen. Vielmehr erinnert sie mich an eine Abmahnung die ich vor ein paar Jahren erhalten habe, von einem Anwalt als München. Damals hab ich seinen Mandanten, einen Schauspieler, als Koksnase bezeichnet und "schwupps" hatte ich böse Post im - realen - Briefkasten. Long times ago, denn inzwischen ist die grosse Blog-Blase geplatzt, der Trend ist vorbei und nur die ausdauernden Blogger erfreuen ihre Leserschaft noch Tag für Tag mit neuen Geschichten. Ansonsten gibts endlos viele Text-Friedhöfe... Es vergeht aber trotzdem keine Woche, in welcher sich nicht ein Blogger für ein Foto oder einen Beitrag rechtfertigen muss. Vielleicht sollten sich die Firmen, ihre Mediensprecher, Vereinsfunktionäre, Politiker oder Popsternchen einfach wieder einmal klar machen, was ein Blog eigentlich ist: ein Weblog, sprich ein Netz-Tagebuch - öffentlich zugänglich zwar, aber durchaus privat geführt. So gesehen würde gesunder Menschenverstand und etwas Toleranz - beiden Seiten! - vielleicht so manchen Streit im Keim ersticken und unsere Gerichte könnten sich um die wirklichen Probleme kümmern....
2 Kommentare:
Faktisch ist das ja Zensur: «Als Zensur im Internet werden verschiedene Verfahren von Staaten oder nichtstaatlichen Gruppen bezeichnet, deren Ziel es ist, die Publikation von bestimmten Inhalten über das Internet zu kontrollieren, zu unterdrücken oder im eigenen Sinn zu steuern. Vor allem Nachrichten und Meinungsäußerungen sind davon betroffen, in einigen Staaten auch Webseiten mit erotischem oder religiösem Inhalt. Die Zensur im Internet unterscheidet sich damit nicht grundsätzlich von der Zensur anderer Massenmedien.» (aus http://de.wikipedia.org/wiki/Zensur_im_Internet)
Ich habe diesen Fall auch nur am Rande verfolgt. Klar ist, dass es einfach irrwitzig ist, wie die Rechtssprechung in Deutschland ist. Bin ja gesapnnt wie da gewisse Fälle bei uns (auch zum Thema Cablecom) ausgegangen wären.
Offenbar hat der Blogger also einen Gerichtstermin platzen lassen und dann Schreiben einfach ignoriert. Wenn das stimmt, ist es wirklich einfach nur dumm.
Euroweb tut sich aber sich auch keinen Gefallen. Das dürfte wohl eine ziemliche PR-Katastrophe sein. Aber vielleicht will sich deren Chef auch mit einem grossen Knall verabschieden.
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