23. Januar 2014

Zugfahrt

Das ist quasi ein Live-Blog. Aus dem ÖBB Zug Zürich - Budapest. Leider bin ich nur bis Innsbruck Gast in diesem roten Gefährt. Schade, in Budapest war ich nämlich noch nie. Nächstes Mal. Nun gut, dieser Blogpost ist eh mehr Therapie, denn wirklich gewollt. Ein guter Freund hat massive gesundheitliche Probleme, die Lage hat sich heute Morgen noch einmal zugespitzt: Intensivstation. Da ist man während sechs Stunden Zugfahrt froh um Ablenkung, tja und Schreiben hat mir schon so oft durch schwere Zeiten geholfen. Auf dem Kopfhörer übrigens das Australian Open Live Radio, Go Stan!  Aber ich schreibe ja auch, weil es hier in diesem 1. Klasse Abteil so interessante Mitreisende hat. Grrrr, der Zug wackelt in den Ösi-Tälern, macht das Tippen auf dem iPad auch nicht einfacher. Man möge allfällige Fehler verzeihen. 

Nun gut, beginnen wir mit dem Mann direkt rechts von mir. American Boy, um die 45 und irgendwie aus Seattle. Zumindest erinnert er mich an Kurt Cobain. Auch wenn seine Haare, inkl derer auf der Brust, wesentlich grauer sind. Okay, Kurts Haare währen heute auch grau, wetten? Der Ami neben mir hat ein Hörgerät, vermutlich hat er in einer Grunge-Band gespielt, damals. Zu laut. Er erinnert mich irgendwie an Dirk Stermann. Unabhängig davon hat als erstes seine Bergschuhe ausgezogen, seine blonde Begleitung ebenso. Sie sitzt übrigens verkehrt im Leder-Komfort-Sessel. Also Füsse in der Lehne. Und ich dachte immer, dass ich komisch sitzen würde. Nun, reden tun sie nicht viel. Er hat mich schon früh gefragt, wie das mit dem Wifi im Zug denn so wäre. Sie hat, als der Schaffner uns Zeitschriften anbot genickt und dann ein "Wiener" in Empfang genommen. Sichtbar errötet gab sie es zurück, als sie die nackten Frauen in Overknee-Stiefel auf dem Cover sah. Er hätte es gerne genommen, durfte aber nicht. Die ach so prüden Amis halt. Eine Spruch von wegen "Wiener" konnte ich mir nicht verkneifen, was dann für noch mehr Blut in ihrem Kopf gesorgt hat. Eventuell doch keine Sex, Drugs and RocknRoll Story bei den beiden. Jetzt schauen sie die Berge an und schweigen dazu. Seit über einer Stunde. Und er ackert Zugsfahrpläne durch - Wifi sei dank. 

Vor den beiden sitzt eine junge Frau aus Ungarn, neben ihr die Frau Mama. Die Jüngere der beiden ist, so rate ich mal, Model oder Schauspielerin. Aber nicht in Hollywood, nein, so ungarische Indie-Produktionen, in denen der Kameramann ohne Skrupel auch mal 5 Minuten nur eine Kaffeetasse filmt. Angezogen wie ein Hippster raucht sie E-Zigaretten und liest E-Book. Dazu noch ein Mac auf dem Schoss und Sprüngli-Schoggi. Sie wirkt sehr unnahbar und gelangweilt. Normalerweise reist sie vermutlich mit dem Flugzeug, was mit dem vielen Gepäck auch durchaus Sinn macht. Aber die Frau Mama wollt mit dem Zug fahren, weil sie doch endlich mal die Berge sehen möchte. Na gut, sie hat ihr den Gefallen getan, dafür hat es wohl die neuen Ledestiefel als Geschenk gegeben. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass die so glänzen und sie immer daran rumfummelt. Wieder ein Zug an der E-Zigi...

Hinter mir der Businessman. Immer am Telefon und er haut so heftig in die Tasten, dass mein Sitz wackelt. Zwischendurch schläft er spontan ein und schnarcht. Bis er vom Handy wieder geweckt wird. Gleich neben ihm zwei ältere Damen, sie gehören zu 30köpfigen Reisegruppe "SRF Kulturreise nach Salzburg". Seit Zürich waren sie rund 10 Minuten an ihrem Platz, die restliche Zeit in Resto-Waggon oder im hinteren Wagen, weil da der Rest der Reisegruppe sitzt. Und das mögen sie nicht, so abseits. Das haben sie dem Schaffner energisch mitgeteilt, dieser hat seinen Frust über den Anschiss an den beiden, inzwischen Joghurt essenden, Amis rausgelassen und sich über ihre schlecht gedruckten Print@home Tickets aufgeregt. 

Die Schauspielerin hat, inzwischen ist die Sonne da, ihr Hemd ausgezogen und sitzt in einer Art Spitzenbody da. Ihr Gegenüber ein Ösi-Ehepaar, beide gehen 80 Jahre alt. Der gute Mann weiss nicht wie ihm geschieht, oder besser gesagt, wo er hinschauen soll. Ja, Berge, aber ich glaube seine Frau hat nicht diese Berge gemeint. Ich seh die Ungarinnen ja nur von hinten und das ist gut so. Es reicht, wenn sie mit wallendem Haar den Kopf dreht und den Rauch der E-Zigi in den Gang bläst. 

Mein Held ist sowieso der Kellner, jongliert mit 2 vollen Tabletts durch den Zug. Egal ob Kaffee, Bier oder Essen - er scheint die Regeln der Schwerkraft zu überwinden. Und das mit guten 100 Kilogramm auf den Hüften. Okay, die Tomaten-Pasta... ja, sie haben Flecken auf seinem Hemd hinterlassen. 

Bald bin ich in Innsbruck. Stan hat gewonnen. Schnee hat es hier irgendwie gar keinen. Inzwischen läuft Rio Reiser aufm Kopfhörer. Und beim Rausgehen frage ich noch freundlich nach dem "Wiener". 

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