Ich hatte in den letzten Tagen einen Auftrag, da musste ich was zum Thema Paris recherchieren. Dabei bin ich auf eine mehr oder minder lustige, aber auf jedenfall verblüffende, Story gestossen. Als Marseillais hat man zu Paris ja grundsätzlich ein etwas gestörtes Verhältnis, aber dass Paris nun auch krank macht, das hat mich dann doch ein bisschen überrascht. Und für die Krankheit gibts sogar ganz offiziell einen Namen: das Paris Syndrom! Der eben als "Paris-Syndrom" bezeichnete Kulturschock bringt pro Jahr hunderte Japaner ins Krankenhaus.
Aufmerksam auf das Phänomen wurde ein japanische Psychiater, nachdem er vor einigen Jahren in Paris zu arbeiten begann. Jahr für Jahr entdeckte er Fälle von Landsleuten, die offenbar durch das Leben dort krank wurden. Dies beginnt regelmässig mit einem leichten Angstgefühl, das sich dann bis zu einer Art Verfolgungswahn steigert. Betroffene trauen sich nicht mehr auf die Strasse und schliessen sich in ihren Hotel-Zimmern oder Wohnungen ein. In Extremfällen besteht sogar Selbstmordgefahr. Über hundert Paris-Syndrome pro Jahr diagnostiziert zum Beispiel das Pariser Saint-Anne-Krankenhaus.
Bei der japanischen Botschaft in Paris werden jährlich ebenfalls ein paar Dutzend gravierende Fälle registriert. In einem Viertel der Fälle muss die sofortige Rückkehr nach Japan veranlasst werden, um die Kranken zu heilen. In einigen Fällen kann die Genesung Monate dauern. Viele Japaner stellen sich das Pariser Leben als extrem aufregend und romantisch vor, Paris als Kunst-Hauptstadt, des strahlenden und glanzvollen Lebens. Die Realität ist dagegen nicht immer so einfach, vor allem wenn die Besucher kein Französisch sprechen. Was durch die Ignoranz der Pariser gegenüber Fremdsprachen durchaus gefördert wird, wer die Sprache nicht beherrscht steht schnell einmal im Offside. Dazu kommt viel Lärm, Hektik, Dreck und in den Banlieus häufig Zerstörung und Gewalt.
Betroffen sind vor allem junge Frauen. Beim Gang in Geschäfte und Restaurants sind sie ein Höchstmass an Freundlichkeit und Respekt gewohnt. Paris-Besucher erleben dagegen oft das Gegenteil: Gerade an touristischen Orten sind unfreundliche Kellner nicht selten, die Ausländer ohne Sprachkenntnisse ignorieren oder sichtbar ungeduldig warten, bis der fremdländische Gast seine Bestellung endlich zusammen hat. Es soll aber auch vorkommen, dass sich der Garcon über den Besucher aus Fernost und sein unverständliches Kauderwelsch auch noch lustig macht.
Doch allein aus dem Verhalten der Franzosen erklärt sich das Paris-Syndrom nicht. Der Schock hängt auch mit dem mitgebrachten Paris-Bild zusammen. Japanische Besucher glauben nur zu oft, dass sie in der Seine-Metropole die Romantik wiederfinden, die es in Filmen wie "Die fabelhafte Welt der Amélie" gibt. Hinzu kommt vorallem bei den Männern ein Bild Frankreichs auf sehr hohem Niveau rund um guten Wein, einer Feinschmecker-Küche, Cognac und Luxus-Boutiquen an der Champs Elysées. Die Kulisse stimmt zwar, die Menschen sind dann aber oft ganz anderes als erwartet.
Natürlich hat französische Tourismusverband das Problem erkannt und seine Mitglieder angewiesen, die rund 700'000 Paris-Besucher (pro Jahr!) speziell freundlich und zuvorkommend zu behandeln. Der Erfolg hält sich aber vorallem in den Touri-Fallen rund um Montmartre, Eiffelturm oder Pigalle im Rahmen. Darum hat auch die japanische Botschaft reagiert und einmal Erkrankten empfohlen, den Traum von Paris für immer zu begraben und nie wieder nach Frankreich zu kommen.