Stell dir vor, du fährst mit dem Zug von Aarau nach Zürich. Steigst am Zielort aus und befindest dich auf einmal auf einem anderen Planeten. Auf einem, auf welchem die Männer noch Jeanshemden, Bärte und Schnäuze oder Mützen mit Traktorwerbung drauf tragen. Dazu sind 90 Prozent dieser Männer schwerstens tätowiert. Was tust du? Ich hab zuerst einmal geschaut, ob ich wirklich im richtigen Zug war und das tatsächlich Zürich ist - oder eventuell doch irgendeine Kleinstadt in Texas oder Iowa. Nein, es war Zürich. Sonntagabend, Treffpunkt Jugendhaus Dynamo. Direkt neben dem Marriott Hotel übrigens, da laufen die Menschen in der Regel eher so rum, wie man es sich für Zu-reich vorstellt. Nun gut, mein Raumschiff war gelandet und ich hab mich auf Anhieb sehr wohl gefühlt. Nach kurzer Zeit sass dann auch die halbe Band - ja es geht bei diesem Bericht um ein Konzert - bei uns am Nebentisch. "The Revival Tour" war das Motto des Abends, Musiker wie Chuck Ragan, Dan Andriano, Brian Fallon oder Franz Nicolay standen mit einem halben Dutzend weiteren Freunden auf der Bühne und feierten eine Art Klassentreffen. Es wurde viel getrunken, gejohlt, gesungen, geklatscht, gefeiert. Man gab Geschichten aus der Teenagerzeit zum Besten, genau so waren Witze zu hören. Kurz, Spass war angesagt und als Zuschauer hatte man während den 3 Stunden jederzeit das Gefühl, dass man bei diesem Klassentreffen dazugehört. Selber mal einen Eindruck machen? Bitte sehr.
Ich weiss zwar bis heute nicht, in welche Schublade ich dieses Konzert stecken soll. Aber inzwischen bin ich der Meinung, dass auch nicht jeder Musikstyle seine Schublade braucht. Es war kein Country, dafür gabs zu viele Punkattitüden. Blue Grass vielleicht? Nein, dafür waren die Gitarren zu hart. Rock? Nein, dazu hat ein Schlagzeug gefehlt. Egal, es war toll. Fazit: auch wenn ich zu Beginn des Abends nicht genau wusste, worauf ich mich da eingelassen hatte, war ich nach den ersten 5 Minuten bereits so begeistert, dass ich diesen Abend - auch dank TShirts und CDs - in bester Erinnerung behalten werde. Gute Musiker haben gute Musik dargeboten, was will man mehr. Danke an meine zauberhafte Tippgeberin, ohne die ich dieses Konzert wohl voll verhängt hätte.
Weniger Lob als für die Revival Tour kann ich dem Luka Bloom geben. Leider. Er war am Freitag im KiFF zu Gast. Ich hab den Iren bestimmt schon 3 Mal gesehen, mindestens. Aber das Konzert in Aarau war das Schlechteste von allen. Der Mann wirkte schon beim Auftritt auf die Bühne irgendwie unmotiviert, im Saal standen Stühle rum, Stehen wurde nicht gerne gesehen, der Barbetrieb wurde auf Wunsch von Bloom reduziert und als es einem dann auch noch verboten wurde zu Reden, wurde es mir dann irgendwie zu viel mit dem divenhaften Getue. Ich hab Luka Bloom zum ersten Mal Anfang der 90er Jahre gesehen, da hat er in einem Zelt beim beim Openair Leysin gespielt, nach ihm ein gewisser Lenny Kravitz. Beide Musiker haben sich vor und nach ihrem Aufritt unters Publikum gemischt und an der Zeltbar noch ein Bierchen genommen. Und glaubt mir, damals haben nicht einmal die Hälfte der johlenden Openair-Gäste sein Konzert mitgekriegt. Das muss wohl beim guten, alten Luka irgendein Trauma hinterlassen haben. Klar, musikalisch ist er immer noch Spitze. Sein Gitarrenspiel lädt zum Träumen ein und auch die Stimme passt. Diesbezüglich ist er wie Wein, mit dem Alter immer besser. Leider wurde der Abend wirklich durch sein - in meinen Augen - zu zickenhaftes Benehmen getrübt. Entsprechend hab ich ihn auch schon gesprächiger und witziger erlebt. Auf die wenigen Rufe aus dem Publikum ist er entweder gar nicht oder dann mit dämlichen Sprüchen eingegangen. Vielleicht hätte er anstatt seinem Ingwertee vielleicht besser einen guten Wein getrunken, der hilft nicht nur dem Hals, sondern auch der Seele. Was einem alternden Folksänger, der in einem halbleeren Saal in einer Stadt auftritt die er nicht kennt, vermutlich gut getan hätte...
Als Entschädigung gabs dann aber quasi auf dem Heimweg noch etwas Glamrock. Im Foyer des KiFF traten nach dem - scheinbar enttäuschenden - Fussballspiel zwischen Wales und der Schweiz "The Blood Hand" auf. Ein bisschen The Darkness, gemischt mit einem Hauch Placebo oder Manic Street Preachers. Ja, von allen halt ein bisschen. Klar, die Band und die Musik waren austauschbar, trotzdem hat es nach dem leicht depressiven Abend mit Luka direkt gut getan, unverbrauchte und leicht verrückte Menschen zu sehen. "Thank you for being part of my show," begrüsste der durchgeknallte Sänger fast jeden Gast persönlich per Handschlag. Das nenn ich mal eine Bindung zum Publikum ;-)
Zum Abschluss noch zwei, drei Tipps in Sachen Musik: Donnerstag "Goose" im KiFF Aarau, Freitag Soprano in der Roten Fabrik Zürich und am Samstag Fiji und Stereo Total in der Je t'aime Bar Industriestrasse Aarau.