22. September 2010

Gewählt ist...

Die Schweiz hat gewählt. Oder besser gesagt die Vertreter von Herr und Frau Schweizer haben gewählt, also wir haben quasi wählen lassen. Da der Bundesrat ja immer noch vom Parlament und nicht vom Volk bestimmt wird, fiel den Stände- und Nationalräten diese Ehre zu. Dass es  - unter der grossartigen Leitung von Pascale Bruderer - ziemlich lange gedauert hat bis die zwei Neuen fest gestanden sind, das hat wohl inzwischen jeder mitgekriegt. Darum verzichte ich an dieser Stelle auf eine Rückschau auf die Wahl, nur eines ist klar: das Volk hätte genau so gewählt! Ich habe an dieser Stelle vor einiger Zeit eine Volkswahl lanciert, hunderte von Leserinnen und Lesern haben sich daran beteiligt und bis gestern Nacht standen sowohl Simonetta Sommaruga als auch Johann Schneider-Ammann als Sieger dieser Abstimmung fest. 


Ob ich persönlich mit dieser Wahl zufrieden bin, kann ich derzeit überhaupt nicht beurteilen. Ich kenne beide neuen Bundesräte weder persönlich, noch habe ich mir ein Bild über sie gemacht. Frau Sommaruga noch eher als der gewählte Berner. Die sollen sich jetzt erst einmal bewähren und zeigen, was sie so drauf haben. Das Vertrauen in den Bundesrat war in der Schweiz auch schon einmal grösser: Libyen, Schweinegrippe, Bankenkrise... nur ein paar Beispiele, in denen die 7 Damen und Herren in Bern alles andere als gut ausgesehen haben. Erfreulich finde ich dafür schon mal die Tatsache, dass unser Land nun in der Mehrheit von Frauen regiert wird. Die höchsten Posten der Schweizer Politik waren ja vor heute Morgen schon vom weiblichen Geschlecht besetzt und seit der Wahl von Bundesrätin Sommaruga haben die Frauen auch im Rat selber die Mehrheit. Fast 20 Jahre nach der Nichtwahl von Lilian Uchtenhagen... und das mit dem Frauenstimmrecht ist ja in der Schweiz auch noch nicht allzu lange her. Zumindest im internationalen Vergleich. Also schauen wir mal, ob der Führungsstil der Frauen sich unterscheidet, ob anders politisiert wird. Zu wünschen wäre es diesem Land.

Ach ja, spannend fand ich den Unterschied der beiden Gewählten bei der Vereidigung. Während Schneider-Ammann einen Schwur geleistet hat, begnügte sich Sommaruga mit "Ich gelobe". Ist mir lustigerweise bis zum heutigen Tag noch gar nie aufgefallen, dass es hier solche Unterschiede gibt. Man müsste direkt einmal schauen, wer in der Bilanz der letzten Jahre mehr geleistet und besser abgeschnitten hat. Die Schwörer oder die Gelober...

21. September 2010

Free Rainer - Dein Fernseher lügt!

Ich wiederhole mich: Warum bitte laufen gute Filme immer nur mitten in der Nacht, während es den gesamten Trash im Hauptabendprogramm gibt? All die beknackten Doku-Soaps oder Scripted Documentaries wo Schwiegertöchter gesucht, Arbeitslose beraten oder Mauerblümchen verschönert werden. Flankiert von ach so wahnsinnig realistischen Serien aus dem erzkonservativen Amerika. Aber nein, auf die guten Filme muss man dann entweder bis Mitternacht warten oder sie praktischerweise halt aufnehmen. Tja und schon sind wir mitten drin im Thema: Der Regisseur Hans Weingartner („Die fetten Jahre sind vorbei“, "Das weisse Rauschen") skizziert in "Free Rainer - Dein Fernseher lügt" eine absolut niveaulose Fernsehlandschaft, in welcher der kulturelle Abwärtstrend der TV-Formate kaum aufzuhalten scheint. Also eigentlich die ganz aktuelle TV-Situation... Überzogen wirken vielleicht zunächst Formate wie „Hol dir das Superbaby“, sie sind jedoch nicht allzu weit entfernt von der realen deutschen Fernsehwelt, in der Frauen getauscht, Frauen zu Bäuerinnen und AKs von Supernannys gezähmt werden.


Zur Handlung: Der koksende, auf sich selbst fixierte TV-Produzent Rainer (einmal mehr genial: Moritz Bleibtreu), angestellt bei dem fiktiven Boulevardsender TTS, wird von der jungen Pegah (Neuentdeckung Elsa Sophie Gambard in ihrer bislang einzigen grossen Rolle, leider) für den Selbstmord ihres Grossvaters verantwortlich gemacht. Durch einen von ihr verursachten Autounfall landen beide schwer verletzt im Krankenhaus. In einer - beklemmend psychodelisch anmutenden - Nahtod-Szene realisiert Rainer, dass er für eine gute Quote bislang über Leichen gegangen ist. Er schliesst mit seinem bisherigen, ausgelutschten Medienleben ab, lässt seine Frau Anna zurück und wirft seinen riesigen Flat-Fernseher aus dem Fenster, um fortan als Medienguerilla sein Schwert gegen die akute TV-Trash-Kultur zu schwingen. Qualität statt Quote, schreibt er sich zusammen mit Pegah auf die Fahnen! Doch eine Revolution braucht Manpower, zunächst bringen er und die junge Pegah Phillip (Milan Peschel), einen soziophoben Wachmann der Media Control, dazu, ihnen auf ihrem Weg zur Medienrevolution zu folgen. Die Drei rekrutieren fünf Arbeitslose mit gescheiterten Träumen: der Alkoholiker, der Inder, der Rocker, der Bekehrer und der Ex-Knacki. Gemeinsam hacken sie das Netz der Quotenermittlungsfirma und manipulieren die Zusvhauerzahlen zugunsten des Bildungs- und Kultur-TVs. Die Idee hinter der Aktion ist genial: die „Bildungs-Unterschicht“ soll nicht weiter von den TV-Sendern verblödet werden. Dank steigendem Niveau des Programms steigt auch der Anspruch der Zuschauer. Wem das Programm nicht passt, der stellt die Kiste ab und unternimmt aktiv Sachen die er sonst vermutlich nicht getan hätte. Kurz, Fernsehen zeigt uns nicht mehr nur dummes Zeug, sondern spiegelt vielleicht mal wieder mehr wahre Tatsachen, als sie selber zu erfinden - der Quote zuliebe. Wie im Film erwähnt würde es den Medienbossen vielleicht mal wieder gut tun, sich in den Sinn zu rufen was der Begriff "Medien" bedeutet: Vermitteln!

Klar, der Film ist pure Fiktion und auch mein Wunsch nach sinnvollen und trashfreien Medien wird unerhört bleiben - sonst liefen solche Filme ja nicht erst so spät. Und klar auch dass der Film "Free Rainer" oft an das „Brave New World“- Szenario von Aldous Huxley erinnert und unterm Strich auch die eine oder andere Schwäche hat. Dennoch ist der sozialkritische Film Weingartners absolut sehenswert und die Hauptdarsteller brillieren durch ihr natürliches Schauspiel. Und wenn Pegah sagt, dass Revolutionen schon oft gescheitert seien ab dem Momemt als Geld ins Spiel gekommen ist, dann nickt man zustimmend. Und hat auch gleich die Antwort erhalten auf die Frage, warum es im TV denn soviel Schrott gibt: Money! Oder um ein legendäres Sprichwort zu missbrauchen: "TV ist Opium fürs Volk!"

18. September 2010

Der Song zum Wochenende

Ina Müller. Bekannt? Wohl den wenigsten LeserInnen. Leider. Okay, mit dem Namen Müller wird man in der Regel auch nicht unbedingt auf Anhieb weltberühmt, ausser man spielt Fussball und heisst Gerd oder Thomas mit Vornamen. Aber eben, Ina Müller. Ein Allround-Talent aus dem hohen Norden. Sie moderiert, schauspielert, komponiert, komödiert, spielt öffentlich einen Orgasmus vor, talkt, trinkt gerne, unterhält.... und singt. Ich persönlich bin ziemlich fasziniert von dieser (sexy) Frau und ihrer Karriere, falls ich mal wieder in Hamburg sein sollte möchte ich gerne eine Show von ihr im Schellfischposten live geniessen. Nun, letzte Woche hat sie leider ihre tollen Haare geschnitten und schaut jetzt ein bisschen aus wie die Frau Beckham vor einiger Zeit. Aber ich hoffe, das wächst nach... Wie bekannt sie in Deutschland ist zeigt, dass sie nach ihrem Frisör-Besuch zu Lanz ins ZDF eingeladen wurde, wo man die neue Frisur diskutiert hat. In ihrer Sendung "Ina's Nacht" lädt sie sich immer illustre Gäste ein, befragt sie zu privaten Themen ("Heino, warst du schon mal im Puff?") und singt mit ihnen. Live und unplugged. Genial. Unlängst waren auch Selig zu Gast, hier der Ausschnitt: 

17. September 2010

Herne-West gegen Lüdenscheid-Nord

Am Sonntag ist es wieder soweit, es kommt in Deutschland zum Derby der Derbies... Schalke gegen Dortmund! In diesem Jahr steht das Spiel - wieder einmal - unter einem ganz besonderen Stern, einerseits haben die Schalker auf dem Transfermarkt zugeschlagen wie die Wilden - bislang aber ohne zählbaren Erfolg - und auf der anderen Seite ist Dortmund gut im Strumpf und hat angekündigt, dass die gelbschwarze Fanfront als Reaktion auf die erhöhten Eintrittspreise nicht in die Veltins-Arena fahren wird. Es ist also alles angerichtet für ein Derby der Spitzenklasse. Wer so ein Spiel übrigens einmal live erlebt hat - und ich hatte bislang zwei Mal das grosse Vergnügen - der wird dieses Erlebnis so schnell nicht mehr vergessen, zu eindrücklich die Stimmung auf und neben dem Platz. Da muss man nicht einmal Fan der einen oder der anderen Mannschaft sein um mitzufiebern. Bloss, woher kommt eigentlich diese extreme Rivalität der beiden Traditionsclubs aus dem Pott? Ein Blick in die Vergangenheit beantwortet offene Fragen - und zeigt auf warum man in Gelsenkirchen nicht so stolz auf das gelbschwarze Ortschild ist.


Das erste Derby steigt am 1925 am Stadtrand von Gelsenkirchen. In diesem Ur-Derby geht um die Ruhrgaumeisterschaft in der Kreisliga. Schalke siegt 4:2. Weil die Glückauf- Kampfbahn ausgebaut wird, weichen die Schalker in den Dreissigerjahren für zehn Spiele ins Dortmunder Stadion Rote Erde aus. Eine Rivalität gibt es zu dieser Zeit noch nicht. Erst 1943 schafft die Borussia den ersten Sieg über Schalke. Zum ersten Mal seit 1934 wird Schalke in diesem Jahr nicht mehr Westfalenmeister, die Spieler boykottieren die Siegerehrung. Die Zeit der Harmonie ist vorbei. Jetzt regiert Schwarz-Gelb im Revier. Dortmund wird zweimal Meister, Schalkes Titelgewinn 1958 sollte die letzte Meisterschaft bleiben - bis zum heutigen Tag!

In den ersten Jahren der Bundesliga erlebt Schalke Debakel um Debakel, es gibt ein 7 zu 0 oder ein 6 zu 2. Zeitweise feiern die Dortmunder Spieler - unter ihnen der spätere S04 Manager Assauer - schon in der Pause mit Sekt ihre Überlegenheit.  nicht zweistellig verliere. Schmerzhaft und legendär wird es 1969 für den in der Schweiz bestens bekannten Schalker Friedel Rausch. Nach einem Tor für Königsblau stürmen Fans den Platz, verfolgt von Schäferhunden. Die Hunde aber verfolgten nicht die Fans, sondern Rausch. Eine sechs Zentimeter lange Narbe auf der Pobacke erinnert den ehemaligen Luzerner Meistertrainer bis heute an dieses Rencontre. Aber der Hammer kommt erst noch: zum Rückspiel lässt Schalke Löwen auf dem Platz aufmarschieren. Zwischen ’67 und ’77 gibt es keinen Dortmunder Derbysieg. In den achtziger Jahren finden die großen Derbys nicht - da die Clubs in öfter Mal in verschiedenen Ligen spielen - nicht mehr auf dem Rasen statt, sondern auf der Strasse statt. Auf Schalke verbreitet die „Gelsenszene“ Angst und Schrecken, in Dortmund die „Borussenfront“ um Siegfried Borchardt, damals bekannt als „SS-Siggi“. Ich mag mich an ein Spiel erinnern, als wir, Ende der 80er Jahre, aus der Schweiz im Westfalenstadion zu Besuch waren und die Hooligans nur noch durch die Gegend rennen sahen. Aus sicherer Distanz versteht sich.

Im Dezember 1997 Jens Lehmann als Schalker den BVB-Fans das Weihnachtsfest, als er in der dritten Minute der Nachspielzeit als erster und einziger Bundesligatorwart ein Tor aus dem Spiel heraus erzielt, zum 2:2. 1999 wechselt Lehmann nach Dortmund. Die beschimpfen ihn als „Schalker“, für Schalker ist er ein „Verräter“. Von 1998 bis 2005 ist Schalke dann ungeschlagen. Beim 1:0 im Januar 2004 in Dortmund hält S04 Hüter Frank Rost zwei Elfmeter, Ebbe Sand erzielt in der vorletzten Minute den Siegtreffer. „Verdammte Scheisse!“, soll der Stadionsprecher geschrien haben. Erst im Mai 2005 gelingt der Borussia nach zwölf erfolglosen Derbys wieder ein Sieg. Nach dem 2:1 hängen die Fans ein riesiges Plakat mit dem Spruch „Gelbe Wand - Südtribüne Dortmund“ unter ihr Stadiondach. Das Banner verschwindet im November 2006 spurlos. Bis heute hält sich das Gerücht, Schalker Fans wären auf Diebestour gegangen.

Das letzte Kapitel der Rivalität heisst nun Christoph Metzelder, der von Magath zu Schalke geholt wurde. Das Interessante ist, dass dieser vor seinem Wechsel nach Madrid bis zum Sommer 2007 für Borussia Dortmund kickte – also in Lüdenscheid-Nord. Bloss, auf Metzelder sind sie beim FC Schalke gar nicht gut zu sprechen. Und das hat einen guten Grund: Im Jahr 2007 schickten sich die Gelsenkirchener zum ersten Mal seit 1958 die Deutsche Meisterschaft zu gewinnen. Ohne Erfolg, das entscheidende Spiel gegen den BVB wurde verloren, die Häme im Pott war riesengross. Und Christoph Metzelder legte noch einen drauf, er liessT-Shirts drucken und da stand dann drauf: "Meister der Herzensbrecher – zweizunull". Die Anti-Schalke-Shirts gabs auf Metzelders Homepage zu kaufen. Aber das wer meint das wars, nein es gab noch einen drauf: die Dortmunder Fans liessen am allerletzten Spieltag dieser Saison ein Flugzeug über die Gelsenkirchener Arena fliegen, das ein Banner hinter sich herzog: "Ein Leben lang – keine Schale in der Hand." 

PS: Für die Dortmunder ist Schalke Herne-West – die Schalker nennen Dortmund Lüdenscheid-Nord. Schliesslich ist es nicht erlaubt, das "verbotene Wort" in den Mund zu nehmen.