21. Oktober 2011

Muammar ist tot, na und?

Die Nachricht schlug gestern ein wie eine Bombe: Muammar al Gaddafi ist tot! Die Bestätigung für sein Ableben liess lange auf sich warten. Als dann am späteren Nachmittag allerdings klar wurde, dass Gaddafi nicht mehr lebt, war der Jubel in den Medien gross. Ich hab mit meinen provokativen Facebook-Status "RIP Muammar - warst ein schräger Kauz!" für einigen Wirbel und Diskussionen gesorgt. Es scheint, dass ein Menschenleben nicht gleich ein Menschenleben ist und man gewissen Menschen ihre Gräueltaten auch über den Tod hinaus übel nimmt. Dass wir uns richtig verstehen, ich bin auch kein Freund von Diktatoren und menschenverachtenden Systemen. Aber ich vertrete die Meinung, dass sich das geknechtete Volk über den Tod ihres Führers freuen darf - warum bei uns im Westen allerdings gejubelt wird, das bleibt mir ein Rätsel. Erst recht, wenn sich der Jubel in Hass umwandelt, man Gadaffi verflucht und ihn beschimpft. Klar, er war ein Monster - aber mal ehrlich, wir in unserem schönen Schoggiland hatten ja nie direkt etwas mit ihm zu tun. Ausser die entführten Schweizer, auch denen gönne ich die Genugtuung. Aber sonst? Er war eine tragische Witzfigur. Was hatten Hans Müller und Käti Meier mit ihm zu tun? Warum die Wut und dieser Hass, warum denken wir Europäer andauernd, dass wir und immer und überall einmischen und auch eine Meinung haben müssen. Ist unsere Meinung wirklich so wahnsinnig wichtig? Muammar ist tot, das ist das Ende einer grausamen Herrschaft für die libysche Bevölkerung, aber gleichzeitig auch der Start in ein neues Zeitalter, für ein Volk, welches (noch) nicht weiss wie Demokratie funktioniert. 

Ich persönlich drücke dem Volk die Daumen, dass es klappt. Dass sich der Westen nicht allzu sehr einmischt. Immerhin verfügt Libyen über ein grosses Ölvorkommen. Und wer jetzt laut über Gaddafi flucht und ihm seinen Tod gönnt, sich über die absolut sinnlosen Videos und Fotos seines Ablebens oder seiner Verhaftung freut, der sollte vielleicht mal darüber nachdenken, warum Gaddafi überhaupt je so mächtig werden konnte. Westen sei dank, sag ich nur! Analog Saddam Hussein oder Bin Laden haben die USA auch in Libyen Einfluss genommen und ihn unterstützt. Es gibt sogar Menschen die behaupten, Muammar habe es eigentlich und ganz grundsätzlich gesehen am Anfang der Geschichte einmal durchaus gut gemeint mit Nordafrika. Aber eben, seine Bilanz sieht anders aus: In den vier Jahrzehnten seiner Machtausübung hat Gaddafi ungezählte Revolten ausserhalb Libyens angezettelt, die zunächst seinem Ziel, dem Panarabismus, dienen sollten. Später wandte er sich stärker der Dritten Welt und Afrika zu, deren Zustand er verbessern wollte; vor allem ging es ihm um das Gleichgewicht in einer damals vom Westen beherrschten modernen Welt. Überall unterstützte er - in Worten und mit Geld - die angeblich Entrechteten und Unterdrückten dieser Erde oder jene, die er dafür hielt. In der Westsahara, in Tschad, im libanesischen Bürgerkrieg und bei den Palästinensern mischte er sich ein. Sogar bei den Moro-Rebellen auf den fernen Philippinen, auf Mindanao. Eine Zeitlang fanden die Vertreter der nordamerikanischen Indianer sein geneigtes Ohr, aber auch viele andere in den Ländern der damals so genannten "Blockfreien"-Bewegung.

Nun, was mir in Erinnerung bleiben wird, sind seine äusserst schrägen Auftritte. Sei es vor der UNO oder zusammen mit Berlusconi. Ebenso erinnere ich mich an seine Ansprachen im Staatsfernsehen, bunt gekleidet und irgendwie auf einem schlechten Drogentrip. Unvergessen auch, als er der Schweiz den Krieg erklärt hat und uns von der Landkarte löschen wollte. Natürlich blieb das in der nationalen Comedylandschaft nicht unbeantwortet: genial Victor Giaccobo in seiner Rolle als Muammar. Komisch, dass man sich da über den libyischen Machthaber lustig machen durfte, aber jetzt wo er tot ist dies nicht einfach mit Gleichgültigkeit oder einem Nicken hinnimmt, sondern nach verbal nachschlagen muss. Lustigerweise sind das dann ähnliche Leute, die sich auch darüber nerven, wenn in arabischen Ländern Extremisten USA-Flaggen verbrennen. Die Schadenfreude des Westens in meinen Augen nicht wirklich besser... Hallo, Doppelmoral! Muammar ist tot, ein Mensch ist nicht mehr. Das wars dann auch. 

Am Sonntag sind in der Schweiz nationale Wahlen. Freuen wir uns doch lieber darüber, dass wir in diesem Land die Möglichkeit haben, unsere Machthaber selber zu bestimmen. Die Wahlbeteiligung wird zeigen, ob wir uns diesem Glück überhaupt bewusst sind. 

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Endlich mal jemand der mir aus dem Herz spricht! Könnte kotzen über die Medien und die Schweizer Schadenfreuden Mentalität.